Nachbildung des Körpers auf einem Chip: eine neue Methode für Arzneimitteltests

Im Rahmen eines von der EU unterstützten Projekts haben Wissenschaftler einen mikrofluidischen Chip entwickelt, der gleichzeitig analysieren kann, wie verschiedene Typen von menschlichem Organgewebe auf potenzielle neue Arzneimittel reagieren. Mit diesem bahnbrechenden Chip könnten bei der Arzneimittelentwicklung mehrere Millionen Euro eingespart werden.

Eine der größten Herausforderungen, die sich Pharmaunternehmen stellt, ist es, Einsparungen bei den Millionenbeträgen zu erzielen, die für die Arzneimittelentwicklung ausgegeben werden. Ein ebenso wichtiges Anliegen ist die Verkürzung der Markteinführungszeiten, sodass ein Medikament bestmöglich vermarktet werden kann, bevor das Patent ausläuft. Dies veranlasste die EU dazu, das so genannte Body-on-a-Chip (BOC)-Forschungsprojekt zu unterstützen, das sich noch in der Anfangsphase befand. Bei diesem Projekt wurde anstatt der bei konventionellen Arzneimitteltests verwendeten 2D-Zellkulturen mit einem Chip mit verschiedenem Gewebe gearbeitet, der verschiedene organspezifische 3D-Kulturen auf einem einzigen Chip kombiniert und so den menschlichen Körper und seine tatsächlichen Reaktionen besser imitieren kann. Die Forscher haben einen BOC-Prototyp entwickelt, um das toxikologische Risiko der neuen potenziellen Verbindungen und ihre Wirksamkeit bewerten zu können, bevor diese offiziellen klinischen Tests unterzogen werden.

"Die Pharmaindustrie verzeichnet erhebliche Verluste, weil Arznei-Prototypen zu lange im Entwicklungsprozess verweilen und erst gegen Ende des Projekts festgestellt wird, dass die Arznei nicht wirksam ist", erklärt der Koordinator des BOC-Projekts, Dr. Jan Lichtenberg vom schweizerischen Startup-Unternehmen InSphero. "In der Branche gilt das Paradigma, dass Fehlschläge früh und schnell erkannt werden müssen. Die toxische Belastung einer Arznei soll schnellst möglich festgestellt werden, um Rückschlägen vorzubeugen und dank gesteigerter Effizienz Beträge in Millionen-, gelegentlich sogar Milliardenhöhe, einzusparen."

Langfristige toxische Wirkung von Arzneimitteln

Bei konventionellen Arzneimitteltests wurde die schädliche Wirkung von Medikamenten mithilfe von Zellen getestet, die als 2D-Kulturen auf Trägern gezüchtet wurden. Das Problem an dieser Methode ist, dass 2D-Zellkulturen ihre Funktionsfähigkeit innerhalb von 48 Stunden verlieren können. Dies trifft beispielsweise auf Leberzellen zu. Demzufolge ergeben diese Tests lediglich Ergebnisse zur akuten toxischen Wirkung und eignen sich daher nur für Arzneimittel, die dem Patienten bereits kurz nach der Einnahme Schaden zufügen würden.

Die am BOC-Projekt beteiligten Forscher haben 3D-Zellkulturen (Sphäroid-Mikrogewebe, das man im menschlichen Körper beispielsweise in der Leber oder im Herz findet) in einzelne Kompartimente gegeben, die durch winzige Schläuche verbunden waren. So konnten sie das physiologische Umfeld und die physiologischen Gegebenheiten eines komplexen Organismus imitieren. Da das 3D-Mikrogewebe hier separat und nicht auf dem Chip gezüchtet wird, behält es seine Funktionsweise beachtenswerte 60 Tage lang, sodass auch die langfristige toxische Wirkung getestet werden kann.

Das zu testende Arzneimittel fließt in einer Nährlösung durch diese zahlreichen Kompartimente mit jeweils anderen "Organen". Dabei ist der Träger mit Systemen für analytische Messverfahren, wie Massenspektrometrie, verbunden, sodass die produzierten Metaboliten analysiert werden können. Dank BOC können die Metaboliten der Arznei identifiziert und ihre Wirkung auf andere Gewebe untersucht werden. Die getestete Verbindung reagiert möglicherweise stärker auf die Leberenzyme als die ursprüngliche Verbindung, doch sie kann ebenfalls toxisch sein. Diese toxische Wirkung des Metabolits kann bei Tests mit herkömmlichen 2D-Kulturen nicht entdeckt werden.

Kommerzieller Chip für verschiedene Gewebetypen in drei Jahren einsatzbereit!?

Während des Projekts wurde die Funktionsfähigkeit des Chips mithilfe von Zellkulturen von Ratten bereits bewiesen. Dabei wurden zwei verschiedene Gewebetypen, Leber- und Tumorzellen, eingesetzt. Bei den Tests wurden bewährte Anti-Krebs-Wirkstoffe, wie Staurosporin und Cyclophosphamid, sowie gängigere Medikamente wie Paracetamol, deren schädliche Wirkung auf die Leber bekannt ist, mit dem Gewebe in Kontakt gebracht, um die korrekte Funktionsweise des Chips festzustellen.

Darüber hinaus haben die Partner Experimente mit vier verschiedenen Gewebetypen auf einem einzigen Chip durchgeführt: mit Leber-, Tumor-, Herzmuskel- und Nervenzellen. Sie haben erste Prototypen mit sechs und acht Kompartimenten entwickelt, die, wie das Projekt bewiesen hat, durch menschliche Zellkulturen erweitert werden könnten.

"Da uns die EU schon ab der Anfangsphase des Projekts unterstützt hat, konnten wir bereits einen robusten Prototypen entwickeln, und werden in den kommenden zwei bis drei Jahren einen kommerziellen "Body-on-a-Chip" für verschiedene Gewebetypen auf den Markt bringen", so Dr. Lichtenberg.

An dem Body-on-a-Chip-Projekt waren fünf Partner aus vier verschiedenen Ländern beteiligt. Die EU unterstützte es mit 1,4 Millionen Euro.

veröffentlicht: 2015-06-15
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