Unser Gehirn krümmt die Zeit

In Filmen laufen Unfälle manchmal in Zeitlupe ab, sodass der Zuschauer genau beobachten kann, wie der Schauspieler das Schlimmste zu verhindern versucht. Neue EU-finanzierte Forschung legt nahe, dass unser Gehirn bei der Vorbereitung einer Handlung die Zeit für uns tatsächlich verlangsamt oder "streckt". Die Mitglieder des Projekts "Perception of time during action preparation" (ACTION AND TIME) zeigten, dass unsere visuelle Wahrnehmung von der Vorbereitung einer Bewegung verändert wird, wenn diese Bewegung mit dieser Wahrnehmung in Verbindung steht.


Testpersonen wurden einem Sehreiz in Form einer weißen Scheibe auf einem Computermonitor ausgesetzt und gebeten, dessen Dauer als entweder kurz oder lang zu bewerten. Von den Personen der Kontrollgruppe wurde keine Aktion verlangt. Die Testpersonen sollten anschließend die Hand nach einer zweiten Scheibe ausstrecken, die direkt nach dem Verschwinden der ersten weißen Scheibe auf dem Monitor angezeigt wurde.


Die Ergebnisse belegten, dass der visuelle Reiz nur als länger wahrgenommen wurde, wenn eine Handlung vorbereitet wurde. Außerdem stand die Intensität der Zeitdilatation mit dem Ausmaß der motorischen Handlungsvorbereitung in Verbindung und war von der Unsicherheit abhängig, ob eine Aktion erforderlich sein würde. Interessanterweise wurde durch die Vorbereitung einer Handlung nicht nur die Zeitwahrnehmung gestreckt, sondern auch die Frequenz eines blinkenden Sehreizes als langsamer empfunden. Die Experimente zeigten auch, dass diese Verlangsamung mit einer erhöhten Leistungsfähigkeit der visuellen Informationsverarbeitung in Verbindung stand.


Dies ist die erste wissenschaftliche Studie, welche die Erfahrungen von Baseballspielern von einer scheinbaren Verlangsamung des Balls kurz vor dem Schwingen des Schlägers wissenschaftlich untermauert, und zog daher die Aufmerksamkeit der Medienlandschaft auf sich. Die British Broadcasting Corporation (BBC News), die französische Tageszeitung Le Figaro, der Österreichische Rundfunk (ORF) und der US-Sender CBS News berichteten über die Erkenntnisse.


Die Projektergebnisse tragen nicht nur zum tieferen Verständnis der Funktionsweise unseres Nervensystems bei, sie sind auch für viele Gebiete von Bedeutung, bei denen eine Handlung in Reaktion auf einen Reiz erforderlich ist, z. B. für Leichtathletik, Gaming und beinahe jeden Beruf, bei dem körperliche Arbeit oder das Führen eines Fahrzeugs eine Rolle spielt. Ein tieferes Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen kann letztendlich dazu beitragen, dass Hersteller bessere Produkte gestalten, Spieler ihre Fertigkeiten perfektionieren und Schulungsprogramme für Angestellte die höchstmögliche Wirkung entfalten können.