Einschätzung des Arbeitsmarktes in Europa
Da Europa weiterhin die Auswirkungen der Finanzkrise von 2008 zu spüren bekommt, ist es mehr denn je wichtig, nicht nur zu ergründen, wie Europa zu einem produktiven Arbeitsmarkt zurückkehren kann, sondern auch warum dies nicht erreicht wird. Die ERC-Forschung von Professor Pissarides untersucht, welcher Art von Arbeit in Europa nachgegangen wird und welche künftigen Tendenzen es auf dem Arbeitsmarkt geben wird.
Arbeitsmarktpolitik gestalten
Die Erforschung der Faktoren, die die Schaffung von Arbeitsplätzen
beeinflussen, und der Bereiche, die die meisten Arbeitsplätze anziehen,
hat offensichtliche Auswirkungen auf Politiker. Das Ziel besteht darin,
Politikempfehlungen auf Grundlage eines klareren Verständnisses darüber
zu unterbreiten, wie der europäische Arbeitsmarkt funktioniert. Prof.
Pissarides nennt als Beispiel Schweden, ein Land, in dem "doppelt so
viele Stellen in sozialen Bereichen wie Kranken- oder Kinderpflege
geschaffen werden als in Italien. Dies erklärt teilweise, warum Schweden
eine höhere Gesamtbeschäftigung hat als Italien, und dies besonders bei
Frauen. Erste Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass ein
wichtiger Faktor hinter diesem Unterschied die schwedische Sozialpolitik
ist, die den sozialen Bereich massiv bezuschusst, wohingegen Italiens
Zuschüsse gering sind."
Diese Forschungsergebnisse sind noch vorläufig. Frühe Beobachtungen
haben gezeigt, dass europäische Muster viele interessante Unterschiede
zwischen Ländern verbergen. Frauen bilden einen Kernpunkt bei diesen
Unterschieden. Großbritannien und die Niederlande haben eine
Arbeitsmarktpolitik, die Teilzeitjobs fördert, wohingegen in
Skandinavien Stellen im Gesundheitsbereich, in der Pflege und in der
Erziehung bezuschusst werden: All dies sind Bereiche, in denen
traditionell Frauen überwiegen. Diese Ergebnisse könnten Auswirkungen
auf die künftige Beschäftigungsquote von Frauen haben, da sie eine
Politik zur Unterstützung von Frauen in der Arbeit fördern.
Diese Forschung ist auf bisherigen Arbeiten zu europäischen
Arbeitsmarkttendenzen aufgebaut. Trotz bestehender Anstrengungen in
diesem Bereich, wurde die Beschäftigung in den einzelnen Bereichen
bisher nur wenig erforscht: Dies ist jedoch unabdingbar, wenn wir die
Auswirkungen der Politik auf Beschäftigungsmuster verstehen möchten. Wir
müssen nicht nur erfahren, wie viele Menschen arbeiten, sondern auch
welcher Art von Arbeit sie nachgehen.
Über die Forschung hinaus
Prof. Pissarides erklärt, dass diese Arbeit über die Forschung
hinaus von großer Bedeutung ist, da "es um die Arbeitsplätze und das
Einkommen der Bürger geht. Die meisten Menschen verbringen den Großteil
ihrer Zeit an ihrem Arbeitsort. Das Wohlergehen der Familie hängt vom
Einkommen ab, das durch diese Arbeitsplätze erwirtschaftet wird. Das
Wissen darüber, wie viele und welche Art von Arbeitsplätzen ein Land
finanzieren kann, ist wichtig, damit wir verstehen, wie wir die
Arbeitssituation des gewöhnlichen Bürgers verbessern können."
Prof. Pissarides' Arbeit in der Arbeitsökonomie wird durch den
Wunsch angetrieben, Probleme zu verstehen und zu erklären. Als er
anfing, gab es nur wenige Veröffentlichungen auf diesem Bereich, die
aufzeigen konnten, wie Lösungen für die beschriebenen Probleme
modelliert werden können: "Wir haben verschiedene Ansätze gelernt, von
denen jeder seine eigenen Rückschlüsse und Politikempfehlungen hat, aber
uns wurde nie gesagt, welcher richtig und welcher falsch sei. Ich
beschloss zu Beginn meiner Forschung, alle zu ignorieren, von Neuem
anzufangen und, wenn ich meine Mittel haben würde, zu überprüfen, wo die
anderen Ansätze passen könnten."
Prof. Pissarides sagt über sich, dass er "am besten in einem Büro
ohne Musik oder andere Unterbrechungen arbeiten könne": "Nur ein leerer
Schreibtisch mit einem Stift und einem Blatt Papier oder einem Laptop.
Die größte Bedrohung für diese ideale Umgebung ist das Internet und die
vielen Dinge, die es mit sich bringt: E-Mails und Zugang zu Webseiten,
die mit der Arbeit zu tun haben, und zu Webseiten, die nicht unbedingt
mit der Arbeit zu tun haben. Natürlich verschließe ich vor den Vorteilen
des Internets nicht meine Augen: Für meine Arbeit ist es unerlässlich.
Aber häufig erfordert es mehr Disziplin, es effizient zu verwenden, als
ich aufbringen kann, und dann nimmt es mich ganz ein."
Der Ursprung der Ideen
Die Wirtschaftswissenschaften waren nicht seine erste Wahl: "Es war
ein Zufall. Als junger Mann hatte ich nie vor, dieses Gebiet zu
verfolgen. Ich hatte Naturwissenschaften oder Architektur viel lieber.
Aber als mir meine Eltern sagten, ich solle Buchhalter werden, stimmte
ich widerwillig unter der Bedingung zu, dass ich einen
Wirtschaftsabschluss ablege. Als ich Wirtschaft studierte, entdeckte
ich, dass es meine Neugierde nach wissenschaftlicher Entdeckung stillte.
So blieb ich dabei."
Prof. Pissarides führt die Ursprünge seiner aktuellen Forschung auf
den Moment zurück, als er "zwei einfache Gleichungen schrieb, die die
berühmte Beveridge-Kurve (die empirische Beziehung zwischen
Arbeitslosigkeit und offenen Stellen) darstellen könnten." "Ich konnte
erkennen, dass sie exakt auf die Weise funktionieren, wie empirische
Arbeitsökonomen es beschreiben, und dass es mit ihnen möglich ist, die
komplette Erforschung der Märkte mit Friktionen zu erschließen: Dies
sind Märkte, die Vollbeschäftigung nicht erreichen, wie es die allgemein
lautende Theorie beschreibt."
Dies war der Anfang einer Veröffentlichung, die als Ursprung für die
Forschung gilt, für die Prof. Pissarides 2010 den Nobelpreis erhielt.*
Trotz der Bedeutung beschreibt er den Moment als einen
"Heureka-Augenblick, aber nicht so, dass man nackt durch die Straßen
rennen würde. Ich schätze mal, da es in London etwas kalt ist, ganz zu
schweigen von anderen möglichen Gefahren."
Prof. Pissarides beschreibt die Auswirkungen der ERC-Finanzierung
als Möglichkeit, "sich auf ein großes Thema zu konzentrieren, da es die
nötige Unterstützung bietet, die man braucht um es zu verfolgen. Alles,
was sie bieten, unterstützt die Forschung: von der administrativen
Unterstützung, über die Assistenten und Mitarbeiter bis zum Ende, das
sie mit Ihrer Einrichtung aushandeln. Ich schätze es sehr."
* Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften der
Schwedischen Reichsbank – gemeinsam verliehen an Christopher Pissarides,
Peter Diamond und Dale Mortensen.
veröffentlicht: 2015-01-27
Datum der letzten Änderung: 2015-01-29