"Unsere umfangreiche öffentliche Erhebung ist die wahrscheinlich größte
und detaillierteste länderübergreifende Studie, die bisher in mittel-
und osteuropäischen Ländern anberaumt wurde", so Dr. Letki über ihr
PGPE-Projekt. "Wir führen Feldstudien in 14 postkommunistischen Ländern
durch: in 11 EU-Mitgliedstaaten – Bulgarien, Tschechischer Republik,
Estland, Kroatien, Lettland, Litauen, Ungarn, Polen, Rumänien,
Slowakischer Republik und Slowenien sowie in drei Nicht-EU-Staaten
–Moldauischer Republik, Serbien und Ukraine."
Dr. Letki, Dozentin am Institut für Soziologie der Universität
Warschau, hofft, dass dieses Projekt zeigen wird, auf welche Weise
Bürger und Regierungen in diesen Reformländern gemeinsam auf eine
stärkere soziale, ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit hinarbeiten
können.
Alles umsonst – die große Versuchung
"Wenn es um Güter geht, bei denen die Menschen einbezogen werden
müssen, etwa Verteidigungswesen oder Zugang zum Bildungssystem – besteht
eine Tendenz, selbst nicht aktiv zu werden", erklärt sie. "Das Erbe des
Kommunismus, wo der Staat den Menschen bewusst Entscheidungen
vorenthielt, verstärkte die Verweigerungshaltung und die Abneigung,
miteinander zu kooperieren. Die Studie dokumentiert Erfahrungen und
Wahrnehmungen im Hinblick auf öffentliches Gut und untersucht hierfür
das Verhalten in öffentlichen Einrichtungen und Organisationen sowie
Mitbürgern gegenüber. Analysiert werden soll auch, wie ökologische
Fragestellungen bewertet werden, und ob es "nachhaltiges Verhalten"
gegenüber so genannten "gemeinsamen Ressourcen" gibt, etwa der Umwelt."
Andere Erfahrungen – andere Einstellungen
"Wir gehen davon aus, dass die Menschen in Osteuropa anders denken",
wie sie erklärt. "Der Abbau des Sozialstaates in Westeuropa verlief
allmählich – in Osteuropa jedoch waren die Veränderungen 1990 radikal
und abrupt: die staatliche Unterstützung brach von einem Moment auf den
anderen weg."
"Viele Menschen fühlen sich vom Staat ungerecht behandelt und
verweigern daher weiteres Engagement. Makroökonomische Probleme sind nur
schwer zu lösen, wir wissen aber bereits, dass die Menschen stärker
darauf achten, wie sie in den Behörden, mit denen sie täglich zu tun
haben, behandelt werden, als auf die Leistungen, die sie tatsächlich
bekommen", führt sie weiter aus. "Und auch wenn Bürger miteinander in
Kontakt treten, ist die Qualität des Austauschs wichtig – dabei geht es
nicht nur darum, dass eine Hand die andere wäscht, sondern um
Gemeinschaftssinn und gemeinsame Ziele."
Beispielsweise "haben wir aus westlicher Sicht viel Energie auf eine
behutsame Formulierung komplexer Fragestellungen zu brisanten Themen
und Verhaltensweisen aufgewandt, etwa, wenn es um Steuerhinterziehung
geht. Erste Ergebnisse legen nahe, dass in Osteuropa offen und direkt
Fragen gestellt werden, und dass die Leute darauf antworten – ein
Zeichen dafür, dass in postkommunistischen Ländern dieses Verhalten
nicht als Affront gegenüber Mitbürgern gesehen wird." Das Projekt
gleicht diese subjektiven Maßstäbe mit strukturellen Indikatoren ab –
darunter institutionelle Konzepte, gesellschaftliche Veränderungen,
politische und ökonomische Reformen wie auch historisches Erbe – um die
Einstellung gegenüber Besteuerung oder Gesetzestreue zu verstehen.
"An unserem Projekt arbeitet ein interdisziplinäres internationales
Beratergremium mit, das uns hilft, unterschiedliche (oder ähnliche)
Erklärungen aus verschiedenen Fachrichtungen wie Soziologie, Ökonomie,
Politikwissenschaften und Psychologie zusammenzutragen", so Dr. Letki.
"Der ERC Grant eröffnet fantastische Möglichkeiten", fügt sie hinzu,
"denn wir brauchen solche großzügigen Fördermittel für umfassende
Studien dieser Art. In unserem Fall werden wir 1.500 Menschen in allen
14 beteiligten Ländern befragen. Die aufschlussreiche Datenreihe wird
zeigen, wie sich qualitative Unterschiede in sozialen Einrichtungen
auswirken."
Der Förderpreis ermöglichte Dr. Letki, für das Projekt
Meinungsforschungsinstitute zu engagieren und zwei Postdoktoranden und
zwei Forschungsassistenten ins Team zu holen. Obwohl das Projekt in den
anderen Ländern erst angelaufen ist, sind die Feldstudien in Polen fast
abgeschlossen.
"Das ist bislang das faszinierendste Projektvorhaben für mich", sagt
sie. "Ich bin der erste Sozialwissenschaftler in Polen, dem ein ERC
Grant zuerkannt wurde, und die Universität hat mich bei meinen
Aktivitäten sehr unterstützt. Für Nachwuchsforscher am Beginn ihrer
Laufbahn ist dies eine einmalige Chance, sich zu profilieren."
- Quelle: Dr. Natalia Letki
- Projektkoordinator: Institute of Sociology (IS), University of Warsaw, Poland
-
Projekttitel: Public goods through private eyes. Exploring citizens’
attitudes to public goods and the state in Central Eastern Europe’
- Projektakronym: PGPE
-
Website der Universität Warschau- RP7 Finanzierungsprogramm (ERC-Aufforderung): Starting Grant 2009
- Finanzierung durch die EK: 1 750 000 EUR
- Projektdauer: 3 Jahre