Auf der Suche nach einem neuen Heilmittel gegen Krebs

Wird es in Zukunft eine Krebsbehandlung ohne Chemotherapie und chirurgische Eingriffe geben? Dieser Frage geht nun ein Forscherteam nach.

Mit jedem unserer Schritte kommen die Zellen in unserem Körper zum Einsatz, indem sie Kräfte ausüben, übertragen, ihnen widerstehen oder sie erfassen. Diese Kräfte spielen sich auf verschiedenen Ebenen ab: in unseren Molekülen, Geweben und Organen und in unserem ganzen Körper. Aber wie genau beeinflussen diese Kräfte das Verhalten von Geweben und Organen?

Im Jahr 2017 wurde das EU-finanzierte Projekt MECHANO-CONTROL ins Leben gerufen, um diese Frage zu beantworten. Obwohl es Hinweise darauf gibt, dass mechanische Kräfte fundamentale biologische Prozesse wie embryonale Entwicklung, Tumorwachstum und Wundheilung steuern, wissen Wissenschaftler immer noch sehr wenig darüber, wie es letztendlich dazu kommt. Zu verstehen, wie diese Kräfte funktionieren, könnte neue Wege in der regenerativen Medizin sowie in der Biomaterialentwicklung und, was speziell für dieses Projekt noch viel wichtiger ist, in der Krebsforschung eröffnen.

Ein neuer Ansatz im Kampf gegen Brustkrebs

Das MECHANO-CONTROL-Team, das vom IInstitute for Bioengineering of Catalonia (IBEC) koordiniert wird, konzentriert seine Forschung auf Brustkrebs. Die Teammitglieder untersuchen derzeit, welche Rolle die Härte bei der Bildung und dem Wachstum von Brusttumoren spielt.

IBEC-Forscher und Projektleiter Dr. Pere Roca-Cusachs erklärt in einem auf Europa, dem offiziellen Webportal der EU, veröffentlichten Interview: „Unser Ausgangspunkt war das Wissen um die Rolle der Gewebemechanik bei der Tumorprogression: Tumorgewebe ist härter als normales gesundes Gewebe. Zudem gilt, je härter der Tumor, desto schneller sein Wachstum. Wenn also eine Erhöhung der Härte des Tumors dazu führt, dass dieser schneller wächst, könnte es umgekehrt auch sein, dass er langsamer wächst, wenn man ihn weicher macht oder eine Reaktion auf den Härtegrad ganz und gar verhindert. Das würde bedeuten, dass wir, wenn wir einen Weg finden, um die Verhärtung des Gewebes zu verhindern, die Weiterentwicklung von Krebs stoppen könnten – ohne Chemotherapie und schmerzhafte Operationen.“

Ein Erfolg des Teams wäre dabei nicht nur für Brustkrebspatientinnen eine erfreuliche Nachricht. Denn die Erkenntnisse könnten sich auch auf viele andere Krebsformen auswirken. Zum Beispiel hat die Entdeckung der Projektpartner, dass sich ein bestimmtes Protein (Talin) nur dann entfaltet und an ein anderes Protein (Vinculin) gebunden werden kann, wenn Zellen Kräfte auf harte Gewebe ausüben, zu einem Spin-Off-Projekt zur Entwicklung eines Medikaments geführt, das diese Wechselwirkung verhindert, die die Zellreaktion auf mechanische Kräfte in harten Tumorgeweben blockieren könnte. Das TALVIN-Projekt wird von der EU im Rahmen der Initiative FET Innovation Launchpad finanziert und zielt auf die Entwicklung eines Medikaments gegen Bauchspeicheldrüsenkrebs ab. „Auch wenn unser Wirkstoff Potenzial für die Behandlung mehrerer Krebsarten verspricht, werden wir uns zunächst auf Bauchspeicheldrüsenkrebs konzentrieren, da diese Krebsform in engem Zusammenhang mit chronischer Pankreatitis und der entsprechenden Fibrose steht, die eine schwere Verhärtung des Gewebes hervorruft“, so Dr. Roca-Cusachs.

Ein multidisziplinäres Toolkit

Um die für die Gewebefestigkeit verantwortlichen Mechanismen zu entschlüsseln, kombiniert MECHANO-CONTROL Fachwissen aus verschiedenen Bereichen. Biologen, Biophysiker, Ingenieure, Modellbauer und Chemiker bringen alle ihr Wissen aus den verschiedensten Bereichen ein, angefangen bei der Einzelmolekül-Nanotechnologie auf der kleinsten Ebene bis hin zu Organoiden und Tiermodellen auf Organismusebene.

„Um Antworten zu erhalten, verwenden wir eine Kombination aus Zellbiologie und physikalischer Modellierung“, erklärt Dr. Roca-Cusachs in einem weiteren Interview, das auf der Website des „Journal of Cell Science“ veröffentlicht wurde. „Am Anfang haben wir uns mit der Ebene der Integrin-basierten Adhäsion beschäftigt. Heute interessiert uns zudem, was auf der Ebene des Zellkerns und der Plasmamembran passiert. Ich denke, dass wir zu einigen relevanten Schlussfolgerungen darüber gelangen werden, wie die Mechanosensorik [Reaktion auf mechanische Reize] in diesen anderen Knoten reguliert wird, was noch weniger bekannt ist.“

Durch den Einblick in die Biomechanik von Krebs, vom einzelnen Molekül bis zum gesamten Organ, wird MECHANO-CONTROL (Mechanical control of biological function) bei einer Vielzahl von Krankheiten den Weg für neue Therapien ebnen.

Weitere Informationen:
MECHANO-CONTROL-Projektwebsite

veröffentlicht: 2018-09-30
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