Studie: Blinde verlassen sich für räumliche Einschätzungen auf temporale Signale

Forscher haben herausgefunden, dass Sehbehinderte zeitliche Informationen nutzen, um herauszufinden aus welcher Richtung Töne in ihrer Umgebung kommen.

Allgemein wird angenommen, dass sich bei Blindheit andere Sinne, wie zum Beispiel das Hören, verbessern. Mehrere Studien zeigen, dass die anderen Sinne blinder Menschen zwar nicht feiner arbeiten, sie aber auditive Signale als Ersatz nutzen, um einige räumliche Vorstellungen zu interpretieren. Bei einem Test zur akustischen Raumaufteilung könnte aber die Hörgenauigkeit blind geborener Menschen beeinträchtigt sein.

Eine neue Untersuchung hat mit Unterstützung des EU-finanzierten Projekts weDRAW zeigen können, dass dieses Defizit verschwindet, wenn blind geborene Menschen kohärente temporale und räumliche Signale bekommen. Die Ergebnisse wurden vor Kurzem in der Fachzeitschrift „iScience“ veröffentlicht. „Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass das Gehirn in manchen Fällen temporale Signale nutzt, um auf räumliche Koordinaten der Umgebung zu schließen. Man könnte spekulieren, dass es dabei von einer konstanten Geschwindigkeit der Reize ausgeht und in der Folge eine zeitliche Landkarte aufbaut, um eine metrische Analyse des Raumes durchzuführen.“

In einer Pressemitteilung erklärt es die Hauptautorin Monica Gori vom Istituto Italiano di Tecnologia so: „Diese Arbeiten zeigen uns, dass unsere akustisch-räumliche Vorstellung von unserem Sehen vermittelt wird. ... Ohne Sehkraft sind die akustisch-räumlichen Fähigkeiten nicht immer voll ausgeprägt und in manchen Fällen, wie bei dem Raumaufteilungstest, der hier gemacht wurde, können sie sogar eingeschränkt sein.“

Wahrnehmung von Raum und Zeit

Gori und ihre Kollegen arbeiteten bei ihrer Forschung mit 17 blinden Teilnehmern und 17 sehenden Kandidaten im selben Alter. Allen Teilnehmern wurden die Augen verbunden und sie wurden vor eine Gruppe von 23 Lautsprechern gesetzt. Platziert wurden sie in einem Abstand von 180 cm mit einem Blickwinkel von ±25 ° (dabei war der mittlere Lautsprecher bei 0 °, die negativen Werte links und die positiven Werte rechts). Von links nach rechts spielten die Lautsprecher einen Piepton ab und die Teilnehmer sollten beurteilen, ob der zweite Ton von einem Lautsprecher kam, der näher am ersten oder am dritten Ton war.

In derselben Pressemitteilung wird erklärt, dass in der ersten Runde des Experiments nach jedem Ton eine einheitliche Pause von 750 ms folgte, bevor der nächste Ton abgespielt wurde. In den folgenden zwei Runden war der Tonabstand entweder direkt oder indirekt proportional zum Abstand zwischen den Lautsprechern, die die Töne spielten. Trotz verbundenen Augen konnten die sehenden Teilnehmer die relative Position der Töne im Allgemeinen besser beurteilen, egal wie groß die Pausen waren. Doch das Timing hatte signifikanten Einfluss auf das Urteil der Teilnehmer mit Sehbehinderung. Laut der Pressemitteilung haben die Forscher vorläufige Daten, aus denen hervorgeht, dass kleine Kinder zeitliche Signale nutzen, um den räumlichen Abstand zwischen Tönen zu beurteilen. „Das könnte bedeuten, dass das Gehirn während seiner Entwicklung Wechselwirkungen zwischen den Sinnen nutzt, um räumliche Vorstellungen aufzubauen.“

Das laufende Projekt weDRAW („Exploiting the best sensory modality for learning arithmetic and geometrical concepts based on multisensory interactive Information and Communication Technologies and serious games“) will mehrere Sinne, wie Sehen, Hören, Berührung und Bewegung, nutzen, um verschiedene Arten digitaler Lernumgebungen zu erforschen und zu konzipieren, mit denen Grundschüler (6-10 Jahre) mathematische Konzepte erlernen können. Laut Projektwebsite ist eines der wissenschaftlichen Ziele „mit Hilfe psychophysischer Experimente ein tieferes Verständnis der rhythmischen und motorischen Fähigkeiten sich normal entwickelnder, sehbehinderter und legasthenischer Kinder in verschiedenen Entwicklungsstadien (6-7 Jahre und 8-10 Jahre) zu gewinnen.“

veröffentlicht: 2018-09-21
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