Neue mathematische Anwendungen beleuchten die Komplexität des Gehirns

Da noch nicht wissenschaftlich erklärt werden kann, wie die Hirnfunktionen aus der Struktur des neuronalen Netzwerks unseres Gehirns entstehen, ist auch noch unklar, wie dieses Organ Informationen verarbeitet. Nun wurde ein weiterer Schritt in Richtung eines mathematischen Rahmens gemacht, mit dem das Verhalten dieses Netzwerks hinsichtlich seiner ihm zugrunde liegenden Struktur beschrieben werden könnte.

Ein neuer, auf Mathematik basierender Ansatz der Neurologie trägt dazu bei, innerhalb der Netzwerke unseres Gehirns eine Vielfalt multidimensionaler geometrischer Strukturen und Räume aufzudecken. Mit EU-Unterstützung arbeiten Forscher derzeit darauf hin, Zusammenhänge zwischen solchen Strukturen zu beschreiben, indem sie bei der Beobachtung von Synapsen berücksichtigen, in welche Richtung die Signale zwischen ihnen übertragen werden. So konstruieren sie Graphen eines Netzwerks, welche die Richtung des Informationsflusses darstellen. Zudem analysieren die Forscher diese Graphen mithilfe algebraischer Topologie.

In den Naturwissenschaften ist es immer wieder erforderlich, geometrische Strukturen zu verstehen, weshalb dies einen wesentlichen Bestandteil wissenschaftlicher Computerberechnungen und Datenanalysen darstellt. Die algebraische Topologie ist hierbei ein unersetzliches Instrument, da sie Methoden liefert, um die Eigenschaften des lokalen und des globalen Netzwerks quantitativ zu beschreiben.

Die Forscher des Projekts Blue Brain beschreiben in ihrer wissenschaftlichen Arbeit „Cliques of Neurons Bound into Cavities Provide a Missing Link“, dass die Graphentheorie zwar mit einigem Erfolg zur Analyse von Netzwerktopologien eingesetzt wurde, aktuelle Verfahren allerdings zunehmend auf die Untersuchung davon beschränkt sind, wie die lokale Konnektivität die lokale Aktivität oder die globale Netzwerkdynamik beeinflusst.

Ihre Arbeit weist auf Hirnstrukturen hin, die über bis zu elf Dimensionen verfügen, und beginnt so damit, die größten Geheimnisse des Aufbaus unseres Gehirns zu lüften. „Wir stießen auf eine Komplexität, die wir uns nie erträumt hatten“, erklärt Neurologe Henry Markram, der Leiter des Projekts Blue Brain. „Selbst in einem kleinen Bereich des Gehirns finden sich noch Zig Millionen dieser Objekte mit bis zu sieben Dimensionen. In einigen Netzwerken stellten wir sogar Strukturen mit bis zu elf Dimensionen fest.“

Mit zunehmender Komplexität kommt immer mehr die algebraische Topologie zum Tragen – ein mathematischer Zweig, mit dem Systeme beliebiger Dimensionalität beschrieben werden können. Den Forschern zufolge kann die algebraische Technologie gleichzeitig mit einem Mikroskop und mit einem Teleskop verglichen werden, mit dem in Netzwerken aus nächster Nähe nach verborgenen Strukturen und leeren Räumen gesucht werden kann. Als Ergebnis beschrieben sie in ihrem Paper, dass sie eine bemerkenswert hohe Anzahl und Vielfalt hochdimensionaler, gerichteter Cliquen und Kavitäten feststellten. Diese wurden in neuronalen Netzen noch nie zuvor beobachtet, weder in biologischen noch in künstlichen, und wurden in deutlich höherer Anzahl vorgefunden als in verschiedenen Nullmodellen gerichteter Netzwerke.

Die Studie liefert auch neue Erkenntnisse darüber, wie im Netzwerk korrelierte Aktivität entsteht und wie das Netz auf Reize reagiert. Die Forschungen wurden teilweise durch das Projekt GUDHI (Algorithmic Foundations of Geometry Understanding in Higher Dimensions) unterstützt, das wiederum durch einen Advanced Investigator Grant der EU gefördert wurde.

Weitere Informationen:
CORDIS-Projektwebsite

veröffentlicht: 2017-08-25
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