Die Krebsentwicklung ist ein komplexer Vorgang. Zwar ist bekannt, dass das Tumorwachstum durch einen fortlaufenden Prozess aus klonaler Expansion, genetischer Diversifizierung und klonaler Selektion ermöglicht wird, allerdings sind im Zusammenhang mit diesem Vorgang noch viele Fragen offen. Sie zu beantworten, könnte der Schlüssel zur Prävention von Tumorprogression und Rezidiven sein.
Dr. Michaela Gruber zufolge, deren Forschung unter dem Projekt CLL_INCLONEL (Identification and functional dissection of key genetic events in early chronic lymphocytic leukaemia) finanziert wird, stellt CLL aufgrund ihrer hohen Verbreitung, zunächst langsamen Progression und des einfachen Zugangs zu Proben ein wertvolles Modell zur Erforschung dieses Prozesses dar.
Dr. Gruber untersuchte die klonale Dynamik einer Kohorte von 21 CLL-Patienten, von denen seit der Diagnose bis zum Behandlungsbeginn wiederholt Proben genommen wurden. Ihr Ziel bestand darin, mithilfe modernster Techniken zur Sequenzierung von Patientenproben Ereignisse zu ermitteln, die zum Voranschreiten der Krankheit führen. Sie entwickelte auch In-vitro-Modelle zur Bestimmung der funktionalen Auswirkungen dieser genetischen Ereignisse auf die biologischen Eigenschaften von B-Zellen sowie auf CLL und sammelte wertvolle Daten zur Wirkung von Medikamenten auf CLL-Subpopulationen.
Dr. Gruber stimmte zu, sich mit uns über die Ergebnisse des Projekts und zu der Frage zu unterhalten, wie diese eines Tages zur individualisierten Diagnostik und therapeutischen Bekämpfung von CLL führen könnten.
Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich aus diesem Projekt?
Das Hauptziel dieses Projekts bestand darin, die Dynamik in einer frühen Phase von Tumorwachstum und klonaler Entwicklung besser zu verstehen, während der der Tumor zwischen dem Diagnosezeitpunkt bis zum aufkommenden Behandlungsbedarf wächst. CLL ist ein hochinformatives Modellsystem zur Erforschung dieser natürlichen Krebswachstumsverläufe: Zu Beginn findet das Wachstum für gewöhnlich relativ langsam in potenziell großen Zeitfenstern (über mehrere Jahre hinweg) statt, bevor eine Behandlung erforderlich wird.
Warum ist so wichtig, die klonale Entwicklung besser zu verstehen? Wie kann dies zur Prävention von Tumorprogression und Rezidiven beitragen?
Die jüngsten Ergebnisse aus Sequenzierungsstudien zu Krebs deuten darauf hin, dass das Eintreten von Krebsmutationen einer bestimmten Sequenz folgt. Bestimmte Mutationen treten anscheinend generell im Frühstadium der Erkrankung auf und könnten den Krebs auslösen. Andere Mutationen treten meist spät auf und wirken sich offenbar unterschiedlich auf die Tumorexpansion aus. Des Weiteren weisen verschiedene Krebs-Untertypen verschiedene Mutationsmuster auf.
Zusammen deuten diese Erkenntnisse auf die Möglichkeit hin, das spezifische Entwicklungspotenzial (z. B. die Plastizität) eines Tumors vorauszusehen, das die Progression und die Behandlungsresistenz sowie Rezidive begünstigt. Mit diesem Wissen könnten therapeutische Methoden entwickelt werden, die sich direkt gegen diese Krebsplastizität richten. Dies wäre ein Meilenstein auf dem Weg von der Überwindung aktueller Hindernisse zu einem Heilmittel gegen Krebs.
Was sind Ihrer Ansicht nach die wichtigsten Erkenntnisse, die im Projekt gesammelt wurden?
Unsere Daten zeigen, dass sich die zentralen Mutationen, die die CLL-Progression vorantreiben, im Frühstadium der Krankheit etablieren, und zwar Jahre bevor Symptome einen Behandlungsbeginn erforderlich machen. Erstmals waren wir auch in der Lage, die Auswirkung von individuellen, sub-klonalen Mutationen zu berechnen, die die Ausbreitung des Tumors im Organismus begünstigen.
Eine weitere bedeutende Entdeckung sind die klar unterscheidbaren Wachstumsverläufe bei den Patienten, sowohl auf globaler als auch sub-klonaler Ebene. Zu guter Letzt legen unsere Daten nahe, dass verschiedene Patienten verschiedenes Potenzial für klonale Entwicklung und Wachstum aufweisen und dass diese Muster über den gesamten Krankheitsverlauf bis zum Zeitpunkt des Rezidives konstant bleiben.
Können Sie uns mehr über die von Ihnen entwickelten Technologien für Genom-Editierung erzählen?
Geeignete experimentelle Modelle werden dringend benötigt, um die funktionale Auswirkung der in CLL-Sequenzierungsstudien gemachten Beobachtungen zu testen. Wir wandten daher neuartige Methoden zum Editieren von Genomen an, wobei wir ursprünglich TALENs verwendeten und dann zur kürzlich entwickelten und einfacher programmierbaren CRISPR/Cas9-Technologie wechselten. Dank der letzteren Methode konnten wir eine Reihe isogener B-Zelllinien erzeugen, welche zum Test der molekularen Auswirkung von Mutationen auf die Zellbiologie und – am wichtigsten – auf die Behandlungsresonanz verwendet werden.
Was sind Ihre Pläne, jetzt da das Projekt abgeschlossen wurde?
Wir haben mehrere Nachfolgeprojekte in Wien in die Wege geleitet, mit denen das Wissen über epigenetische Modifikationen und Tumormikroumgebungen sowie deren Rolle und Dynamik in der CLL-Entwicklung zusammengeführt werden soll.
Wie soll sich das Projekt Ihrer Hoffnung nach auf zukünftige Diagnosen und Behandlungsmethoden auswirken?
Wir hoffen, dass wir die Krebsentwicklung vorhersehbarer machen können. Wenn wir ausreichend über die Triebkräfte der Tumorentwicklung und die selektiven Vorzügen sub-klonaler Mutationen wissen, können wir vielleicht Prognosesysteme entwickeln, mit denen wir die Entwicklung bei einzelnen Patienten vorhersagen können.
Auf diesen Systemen beruhende Behandlungen würden ganz direkt auf die Krebsplastizität wirken, die der Progression, der Behandlungsresistenz oder dem Rezidiv zugrunde liegt. CLL ermöglicht uns wie keine andere Erkrankung, unser Verständnis von der Krebsentwicklung zu vertiefen. Die anhand von CLL greifbaren konzeptionellen Erkenntnisse zu Krebs verfügen über ein hohes Potenzial, auf andere hämatologische und feste Malignome übertragbar zu sein.
CLL_INCLONEL
Finanziert unter FP7-PEOPLE
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