Wissenschaft im Trend: Die Spermienzahl fällt bei westlichen Männern seit 40 Jahren

Beunruhigenden neuen Forschungsergebnissen zufolge hat sich die Spermienzahl westlicher Männer zwischen 1973 und 2011 mehr als halbiert – durchschnittlich um 1,4 % pro Jahr. Wissenschaftler sind hinsichtlich der Ursache dieses dramatischen Rückgangs noch immer unsicher, beteuern aber, dass ihre Ergebnisse ernst zu nehmen seien und sofortiges Handeln notwendig sei, bevor sich das Problem zu einer schweren Krise der öffentlichen Gesundheit entwickelt.

Eine neue, in der Fachzeitschrift „Human Reproduction Update“ veröffentlichte Studie schockierte mit dem Nachweis, dass die Anzahl der Spermien pro Milliliter Samenflüssigkeit bei Männern aus Nordamerika, Europa, Australien und Neuseeland seit den 1970er-Jahren um beinahe 60 % gefallen ist.

Die Ergebnisse sind besonders beunruhigend, da es laut diesen keine Anzeichen auf einen Rückgang des Problems gibt, weshalb sich der Anteil der vermindert fruchtbaren oder völlig unfruchtbaren Männer wahrscheinlich erhöhen wird. Folglich werden mehr Paare beim Versuch, sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen, auf Schwierigkeiten stoßen. Da einige westliche Gesellschaften wie Italien und Deutschland bereits mit den Herausforderungen einer Stagnation oder eines Rückgangs der Einwohnerzahl zu kämpfen haben, wird dies ihre langfristigen demografischen Probleme nur weiter vergrößern.

Noch gravierender ist, dass eine niedrigere Spermienzahl insgesamt mit einer kürzeren Lebenserwartung sowie mit bestimmten Formen von Krebs und sexuellen Entwicklungsstörungen in Verbindung gebracht wird.

„Die Ergebnisse sind ziemlich schockierend“, merkte Hagai Levine an, Epidemiologe und Hauptautor der Studie von der Hebräischen Universität Jerusalem. Er argumentiert, dass Verfahren für künstliche Befruchtung zwar zu einer erfolgreichen Empfängnis führen können, bislang jedoch wenig zur Bekämpfung der Ursachen getan wurde. „Es handelt sich um ein klassisches Beispiel für ein Volksgesundheitsproblem, das wirklich vernachlässigt wird“, fügte er hinzu.

Im Rahmen der Studie, die bis heute die größte Meta-Analyse aller Zeiten zu diesem Thema darstellt, wurden Daten aus 185 Studien ausgewertet, die zwischen 1973 und 2011 angestellt wurden und in denen insgesamt beinahe 43 000 Männer untersucht wurden. Das Team unterschied bei den Daten abhängig davon, ob die Männer aus westlichen Ländern kamen oder aus anderen. Nachdem Faktoren wie das Alter und der Zeitraum seit der letzten Ejakulation berücksichtigt wurden, stellten die Forscher fest, dass die Spermienkonzentration von 99 Millionen pro Milliliter im Jahr 1973 auf 47,1 Millionen pro Milliliter im Jahr 2011 gesunken war.

Die Gefahr sinkender Spermienzahlen wurde oft als Mythos abgetan, und Skeptiker argumentierten, dass frühere Nachforschungen auf verzerrten Stichproben basierten, da Männer ihre Spermien eher dann untersuchen lassen, wenn sie bereits eine Unfruchtbarkeit befürchten. Durch die neue Studie wird dieser Einwand widerlegt, da hauptsächlich junge Männer untersucht wurden, die noch nie ein Kind gezeugt hatten und nichts über ihre Zeugungsfähigkeit wussten.

Im Gegensatz dazu wurden keine dieser Entwicklungen bei nicht-westlichen Männern festgestellt, wobei die Autoren der aktuellen Studie betonen, dass es in anderen Ländern nicht genügend groß angelegte und stichhaltige Studien gebe. In einer Studie aus der chinesischen Provinz Hunan von 2016 zu 30 000 Männern wurde jedoch herausgefunden, dass die Spermienzahl zwischen 2001 und 2015 um 18 % zurückgegangen war. Die Autoren dieser Studie nannten Umweltverschmutzung als mögliche Ursache.

Leider sind Experten hinsichtlich der Ursache des Phänomens bei westlichen Männern gänzlich ratlos. Auch Fachkräfte des Gesundheitssystems teilen Verdacht des chinesischen Forschungsteams und fürchten, dass die Entwicklung auf Chemikalien wie Pestizide, Flammschutzmittel, Kosmetika und Kunststoffe zurückzuführen ist. Diese Substanzen sind als „endokrine Disruptoren“ bekannt, da sie das Hormonsystem des Körpers stören – und in westlichen Gesellschaften sind sie weit verbreitet.

In den nächsten Jahren bedarf es zweifellos weiterer Forschung, um eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit zu bekämpfen, die für künftige Generationen katastrophale Konsequenzen haben könnte.

veröffentlicht: 2017-07-28
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