Im Jahr 2009 erlitt Richard Marsh, ein pensionierter Polizeibeamter, einen schweren Schlaganfall, und die Ärzte wollten die lebenserhaltenden Systeme bereits abschalten. Er konnte jedes ihrer Worte hören, aber nicht mitteilen, dass er am Leben war. Die Ärzte gingen davon aus, dass er sich für immer in einem vegetativen Zustand befinden würde, in dem er weder zu körperlichen Empfindungen fähig noch bei Bewusstsein wäre. Richard war jedoch durchaus bei Bewusstsein und in der Lage, jede Berührung zu spüren. „Ich war wach und empfindungsfähig, aber ich konnte kaum einen Muskel meines Körpers mehr kontrollieren“, sagte Richard.
Wie durch ein Wunder – und dank der Unnachgiebigkeit seiner Frau – konnte Richard die Klinik vier Monate später auf eigenen Füßen wieder verlassen und inzwischen 95 % der Funktionalität seiner Muskeln zurückerlangen. „Die Ärzte wissen nicht, wie ich mich erholt habe, da sie nicht wissen, wie genau das Locked-in-Syndrom bei mir überhaupt erst ausgelöst wurde oder wie man es behandeln kann. Viele der Ärzte und medizinischen Experten, die ich traf, wussten nicht einmal, worum es sich bei dem Locked-in-Syndrom handelt. Eigentlich wusste niemand irgendetwas Genaues“, teilte Richard mit.
Bis heute ist es beinahe unmöglich, mit Personen zu kommunizieren, die von einer vollständigen motorischen Lähmung betroffen sind, deren kognitive und emotionale Wahrnehmung jedoch intakt ist, wie es bei einer schweren Form des Locked-in-Syndroms der Fall ist.
Ein von Ärzten entwickeltes Gerät, mit dem Gehirnaktivität interpretiert werden kann, wird Locked-in-Patienten nun das Führen einfacher Unterhaltungen ermöglichen. „Wir konnten zum ersten Mal eine zuverlässige Kommunikation mit betroffenen Patienten herstellen. Nach den 30 Jahren, in denen ich auf diesen Durchbruch hingearbeitet habe, ist dieser Erfolg nun einer der befriedigendsten Momente meines Lebens“, sagte der Neurologe Niels Birbaumer, der die Forschung an der Universität Tübingen leitete.
Vier vollständig gelähmte Patienten im Alter von 24 bis 76 Jahren absolvierten im Lauf von mehreren Wochen über 60 Sitzungen, in denen sie auf persönliche Fragen, deren Antworten teilweise im Voraus bekannt waren, mit „ja“ oder „nein“ reagierten. Die Ergebnisse wurden in der wissenschaftlichen Fachzeitschrift „Plos Biology“ veröffentlicht und belegen, dass die gelähmten Patienten mithilfe einer Haube, die Schwankungen und Muster des Blutflusses in verschiedenen Hirnregionen mittels Infrarotlicht erkennt und diese Informationen zur Verarbeitung an einen Computer sendet, tatsächlich einfache Ja-Nein-Fragen beantworten können.
„Dies deutet darauf hin, dass in Zukunft keine Menschen mehr ohne jegliche Kommunikationsmöglichkeit in ihrem eigenen Körper eingeschlossen sein werden, da wir den betroffenen Patienten nun die wichtigsten Fragen stellen können“, betonte Birbaumer.
Diese Ergebnisse stellen möglicherweise den ersten Schritt dar, mit vollständig gelähmten Menschen kommunizieren zu können, zumindest mit Patienten mit fortgeschrittener Amyotropher Lateralsklerose (ALS). In seinem nächsten Projekt möchte Birbaumer nun ein System entwickeln, dank dessen sich Patienten proaktiver mitteilen können als nur durch Beantwortung einfacher Fragen.
Das LUMINOUS-Projekt wurde mit knapp 4 Mio. EUR gefördert, sodass beobachtbare Aspekte des Bewusstseins untersucht, modelliert, quantifiziert und verändert sowie die Weiterentwicklung der Kognitionswissenschaften unterstützt werden konnten. Das Projekt wird im August 2019 abgeschlossen.
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