Modelle der Gehirndynamik
Die bildgebende Darstellung des komplexen Zusammenspiels zwischen Gehirn, Rückenmark, Blut und Zerebrospinalflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis, CSF) soll Aufschluss über die Dynamik des Gehirns unter physiologischen und pathophysiologischen Bedingungen geben.
Normaldruckhydrocephalus (normal pressure hydrocephalus, NPH) ist eine
neurologische Erkrankung, die auf eine Erweiterung der Liquorräume im
Gehirn zurückgeht. Symptome und Befunde überschneiden sich allerdings
mit anderen neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer-Demenz, was
die Diagnose erschwert. Da zudem die intrakranielle Mechanik
unzureichend beschrieben ist und detaillierte Messungen im Gehirn
schwierig sind, sind therapeutische Optionen sehr begrenzt.
Um den Krankheitsmechanismus zu klären, entwickelte das EU-finanzierte Projekt DINUMA (Development of an integrated numerical model of the intra-cranial space (including the brain parenchyma, blood flow and cerebrospinal fluid) for clinical application) ein Multiskalenmodell für die numerische Simulation der intrakraniellen Dynamik. Schwerpunkt war ein neues Bottom-up-Strukturmodell für das Hirnparenchym und ein Multiskalenansatz der ventrikulären Liquorzirkulation. Untersuchungen der intrakraniellen Druckdynamik unter physiologischen und pathophysiologischen Bedingungen ergaben, dass dynamische Analysen von Parenchym und Liquor die klinische Diagnostik verbessern können.
Das Bottom-up-Strukturmodell analysiert Gewebemikrostruktur und Mikroverformungen und rekonstruiert daraus die globale Interaktion zwischen Parenchym und Umgebung. Trotz der elastischen zellulären Eigenschaften ist die zeitliche Verzögerung, mit der die extrazelluläre Flüssigkeit die gesamte Zellmatrix wieder ins Gleichgewicht bringt, für viskoelastische und verformungsabhängige Eigenschaften im Hirngewebe relevant, was experimentell bestätigt wurde. Unter konstantem Druck verformt sich das Gehirn allmählich, da Flüssigkeit aus dem extrazellulären Raum austritt, was auch für die Pathogenese von NPH von Bedeutung sein könnte.
Multiskalenmodelle der CSF-Dynamik zeigen, dass, obwohl Wandbewegung und Pulsation des Plexus choroideus die CSF-Dynamik in zentralen Bereichen der Hirnventrikel beeinflussen, die wandnahe Dynamik und Scherbelastung durch Pulsationen ependymaler Zilien dominiert wird. Damit wäre die intrakranielle Dynamik das Ergebnis komplexer Reaktionen auf zellulärer Ebene.
Klinisch diente üblicherweise der CSF-Ausströmwiderstand als Messwert für die intrakranielle Dynamik bei NPH-Patienten. Dabei wird ein Infusionstest durchgeführt und der Näherungswert des CSF-Ausströmwiderstands ermittelt, der aber nicht immer aussagefähig genug ist. Vorläufige In-vitro-Ergebnisse ergaben, dass diese Berechnung deutlich präzisiert werden kann, wenn die vom DINUMA-Modell ermittelten viskoelastischen Eigenschaften des Gehirns mit berücksichtigt werden. Genaue Vorhersagen der intrakraniellen Dynamik sind daher von hoher klinischer Relevanz.
veröffentlicht: 2015-09-08