Grob umrissen, geht es bei "integrierter eCare" darum, Akteure aus dem
Gesundheitswesen und der Sozialfürsorge zur Zusammenarbeit auf mehreren
Ebenen anzuregen – angefangen bei Hausärzten bis hin zu öffentlichen
Krankenhäusern und von Pflegekräften in der häuslichen Krankenpflege bis
hin zu Notfallzentren für ältere Menschen. Sie müssen effizient
strukturiert, sich ihrer speziellen Rolle in der Wertschöpfungskette
bewusst und insbesondere in der Lage sein, effizient Informationen
untereinander auszutauschen.
"Gesundheits- und Sozialfürsorgedienste werden heutzutage häufig
unabhängig voneinander bereitgestellt. Dadurch kommt es zu
Ineffizienzen, Vergeudung von Ressourcen und potenziell auch zu einer
geringeren Pflegequalität", erklärt Ingo Meyer, wissenschaftlicher
Referent bei Empirica in Deutschland. "Ältere Menschen sind von dieser
Situation besonders betroffen, da sie häufig beide Arten von
Dienstleistungen benötigen, wie z. B. Unterstützung bei der Bewältigung
des Alltags und die Behandlung chronischer Krankheiten."
Empirica koordinierte ein Konsortium aus 11 Partnerorganisationen
aus fünf europäischen Ländern im Projekt "Common platform services for
ageing well in Europe" (COMMONWELL), einer mehr als dreijährigen
Initiative zur Entwicklung und Bereitstellung integrierter Pflegemodelle
und der zugrunde liegenden Technologie. Das Projekt, das von der
Europäischen Kommission mit 2,68 Mio. EUR kofinanziert wurde, erwies
sich als derart erfolgreich, dass die von ihm entwickelten Systeme und
Dienstleistungen immer noch an den vier Pilotstandorten von COMMONWELL
verwendet werden. Und es gibt sogar Pläne, das integrierte Pflegemodell
auf andere Bereiche auszudehnen.
"Die Idee einer Integration zwischen Gesundheitswesen und
Sozialfürsorge gibt es seit etwa 20 Jahren, aber erst jetzt gewinnt sie
an Dynamik, was teilweise darauf zurückzuführen ist, dass die Leute mehr
Dienstleistungen nachfragen und die Anbieter gemerkt haben, dass so
viel Zeit und Anstrengungen vergeudet werden, weil die Aufgaben
gleichzeitig von verschiedenen Anbietern ausgeführt werden - daher
werden die gleichen Dinge zwei Mal erledigt, andere wiederum wurden
übersehen", sagt Meyer.
Als Beispiel führt er eine Person an, die aus dem Krankenhaus
entlassen wird, das jedoch nicht die häusliche Krankenpflege darüber
informiert, dass die Verbände am nächsten Tag gewechselt werden müssen
oder ein bestimmtes Medikament zu einer bestimmten Zeit eingenommen
werden muss - Versäumnisse, die die Gesundheit des Patienten
beeinträchtigen und den Gesundheits- oder Pflegedienst Zeit, Geld und
Ressourcen kosten.
Im Mittelpunkt der Lösung von COMMONWELL stehen Systeme und
Technologien, mit denen sich der Informationsaustausch zwischen
Organisationen deutlich verbessern lässt. Das Modell umfasst die
Erstellung eines Protokolls für die E-Mail-Kommunikation zwischen
Krankenhäusern und Anbietern häuslicher Krankenpflege bis hin zur
gemeinsamen Nutzung der Ergebnisse der Überwachungssysteme und deren
Verknüpfung mit den medizinischen und sozialen Pflegedaten.
Um die technologischen Probleme bei der Kommunikation verschiedener
IKT-Systeme zu lösen, entwickelte das Konsortium eine modulare
Softwarearchitektur, die offene Standardintegrationspunkte für die
zusammenwirkenden Systeme für den Zugriff und die gemeinsame Nutzung
dieser Informationen bieten. Dank der Nutzung service-orientierter
Ansätze bei der Systementwicklung kann die COMMONWELL-Architektur
Ereignis- und Gesundheitsdaten der verfügbaren Module zusammengefasst
und in Echtzeit verarbeiten, wie z. B. aus Fernüberwachungsplattformen
in den Wohnungen der betroffenen Personen. Diese Informationen werden
dann über eine Reihe von COMMONWELL-Internetdiensten einer Reihe von
verschiedenen Akteuren zugänglich gemacht.
Schutz von Patientendaten
Entscheidend ist hierbei die Tatsache, dass das System so ausgelegt
ist, dass sicherheitsrelevante von nicht sicherheitsrelevanten Elementen
getrennt und die Patientendaten gemäß den Datenschutzgesetzen geschützt
werden.
"Patientendaten sind hoch sensibel und die Vorschriften dahingehend,
wer darauf Zugriff hat und was damit geschehen kann, sind von Land zu
Land unterschiedlich", bemerkt Meyer. "Daher mussten wir für jeden der
Pilotstandorte in Deutschland, Spanien, den Niederlanden und dem
Vereinigten Königreich mit einer juristischen Analyse beginnen und Wege
finden, um das System und die Arten der Daten, die wir dementsprechend
verwenden und weitergeben können, anpassen."
Ein Beispiel hierfür sei, wenn den Sozialbetreuern
Vitalparameterdaten aus den Fernüberwachungssystemen zur Verfügung
gestellt werden, so Meyer. In den meisten Ländern hat nur der Arzt, die
Krankenschwester oder das Krankenhaus Zugriff auf diese Daten. Hierfür
wurde jedoch eine Lösung gefunden, sodass das System die Daten
automatisch prüfen kann, um zu ermitteln, ob der Blutdruck oder der
Blutzucker der Person beispielsweise innerhalb der empfohlenen
Grenzwerte liegen, die der Arzt festgelegt hat, und den Sozialbetreuer
informiert, dass die Vitalparameter des Patienten in Ordnung sind. Wenn
sich etwas verändert, kann das System den Betreuer sofort darüber
informieren, dass etwa die Herzfrequenz zu hoch ist, ohne ihm jedoch
Zugriff auf sensible Rohdaten des Überwachungssystems zu geben.
An Pilotstandorten in Milton Keynes im Vereinigten Königreich und in
Eindhoven in den Niederlanden wurde ein System entwickelt, das
Krankenpflege- und Sozialbetreuungsanbieter unterstützen soll, die sich
um Menschen mit chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung oder chronischer
Herzinsuffizienz kümmern. Die Architektur und die Untersysteme sollen
hauptsächlich die Kommunikation und Zusammenarbeit verschiedener
Anbieter verbessern und damit Ängste abbauen sowie die
Behandlungserfolge bei Menschen mit chronischen Krankheiten und
Patienten erhöhen, die unmittelbar nach einem Krankenhausaufenthalt auf
Unterstützung angewiesen sind.
In Verbindung mit Fernüberwachungslösungen wurde das
COMMONWELL-System an beiden Standorten bei Hunderten alter Menschen
eingesetzt. Hierbei hat sich gezeigt, dass es in der Lage ist, den
sogenannten "Drehtür-Effekt" bei Krankenhausaufnahmen zu reduzieren,
wobei ein Patient entlassen wird, um nur wenige Wochen später ins
Krankenhaus zurückzukehren. Darüber hinaus führte die durch das
COMMONWELL-System verbesserte Koordinierung und Kommunikation zu einem
deutlich höheren Gefühl an Sicherheit und Unterstützung sowie einer
besseren psychischen und allgemeinen Verfassung.
In Bielefeld, Deutschland, arbeiteten die COMMONWELL-Partner mit dem
Johanneswerk zusammen, das etwa 550 Personen in der Stadt betreut. Die
Krankenschwestern der Organisation müssen pro Jahr 100 bis 150
Krankenauseinweisungen bzw. -entlassungen bewältigen, von denen die
meisten in ein bestimmtes Krankenhaus erfolgen. In der Vergangenheit
füllten sie hierfür Papierformulare aus, um die Patientendaten an das
Krankenhaus weiterzuleiten - ein zeitaufwändiges Verfahren. Dank des
jetzt verwendeten COMMONWELL-Systems werden die Informationen jetzt
digitalisiert und automatisch weitergegeben, was eine Vereinfachung der
Krankenhauseinweisungen zur Folge hat. Dadurch werden die Patienten
schneller behandelt und die Kosten der Anbieter können gesenkt werden.
Und in Spanien erfolgte die Bereitstellung der
COMMONWELL-Technologie in Zusammenarbeit mit ASSDA, dem
Sozialbetreuungsanbieter der andalusischen Regierung, der gegenwärtig
mit 175.000 Kunden in ganz Andalusien eines der größten
Sozialfürsorge-Callzentren in Europa betreibt.
"Die Betreiber von ASSDA-Callzentren hatten es häufig mit
Notfallsituationen zu tun. Um aber einen Krankenwagen zum Haus des
Anrufers zu schicken, mussten sie beispielsweise das Gespräch mit dem
Anrufer unterbrechen und die Informationen per Telefon an den Notdienst
weiterleiten. Das dauerte lange und machte dem Anrufer Angst, da er
darauf warten musste, dass ihn der Rettungsdienst zurückruft", sagt
Meyer.
Mithilfe der COMMONWELL-Lösung können die ASSDA-Betreiber jetzt
Anruferdaten, wie Name, Adresse und Gesundheitszustand, mit einem
Mausklick an Rettungsdienste versenden, sodass eventuell lebensrettende
Minuten für den Patienten gewonnen und die Arbeitslast der
ASSDA-Betreiber und Notrufzentralen verringert werden können.
Damit es unterbrechungsfrei und nachhaltig über einen längeren
Zeitraum funktioniert, muss das Geschäftsmodell geeignet sein - daher
wurden die COMMONWELL-Dienste einer rigorosen Kosten-Nutzen-Analyse
unterzogen. Im Allgemeinen trug das System zu einer schnelleren
Abwicklung von Notrufen, einer effizienteren Einweisung von Patienten
und einer zielgerichteteren Servicereaktion bei. Bei der Berechnung des
sozioökonomischen Gewinns des Systems ermittelten die Projektpartner ein
positives Ergebnis, sodass die Investitionen innerhalb von etwa zwei
Jahren nach Projektstart amortisiert waren.
Das COMMONWELL-System wird an allen vier Pilotstandorten
weitergeführt, während das parallel laufende Projekt "ICT-enabled
service integration for independent living" (INDEPENDENT) das
Integrationsmodell zu erweitern versuchte, um nicht nur öffentliche und
private Krankenpflege- und Sozialfürsorgeanbieter, sondern auch
Freiwilligenorganisationen und informelle Pflegekräfte einzubeziehen.
Empiricais ist dabei ein Buch mit dem Titel "Beyond Silos -Achieving
Effective Integrated E-Care Beyond the Silos" zu veröffentlichen, in dem
es um die Erfahrungen der Organisation in beiden Projekten und an
anderen Standorten in Europa geht, das sich mit den Herausforderungen
bei der Schaffung integrierter eCare-Dienste beschäftigt und mögliche
Lösungen vorstellt.
Außerdem werden an der Folgeinitiative SMARTCARE mehrere
COMMONWELL-Partner und Dutzende Kommunen in ganz Europa teilnehmen, die
Modelle der integrierten Pflege einführen wollen.
"Die integrierte Pflege ist bereits seit Jahren im Gespräch, aber
offensichtlich wird den Menschen durch Initiativen wie dieser bewusst,
dass es Zeit ist, zu handeln und sie umzusetzen", sagt Meyer.
COMMONWELL erhielt zusätzliche Fördermittel im Rahmen des Programms
zur Unterstützung der IKT-Politik unter dem Rahmenprogramm für
Wettbewerbsfähigkeit und Innovation (CIP) der Europäischen Union.
Link zum Projekt auf CORDIS:
-
CIP auf der Europa-Website-
Datenblatt des Projekts COMMONWELL auf CORDIS
Link zur Projektwebsite:
-
Website des Projekts "Common platform services for ageing well in Europe"
Weitere Links:
-
Website der Europäischen Kommission zur Digitalen Agenda