Wie abstrakte Mathematik Physikern dabei hilft, das Universum besser zu verstehen

Mathematiker sind in der Beziehung ähnlich wie Historiker, als dass sie darum bemüht sind, Muster zu erkennen und zu interpretieren. Ebenso wie Historiker, müssen sie sich mit der Kritik auseinandersetzen, dass manche Theorien nur von geringem praktischem Nutzen sind. Diese Debatte sei zwecklos, meint der Mathematiker Dr. Francis Brown, Teilnehmer des internationalen Mathematiker-Kongresses (International Congress of Mathematicians, ICM , der in diesem Sommer in Seoul, Südkorea, stattfindet. Im Rahmen eines vom ERC (Europäischer Forschungsrat) finanzierten Projekts hat Dr. Brown unter Verwendung von Zahlen, die vor mehr als 300 Jahren vor allem aufgrund ihrer ästhetischen Wirkung gebildet worden waren, einen Algorithmus von herausragender Bedeutung für die Teilchenphysik entwickelt. In der Mathematik – wie auch in der Geschichtsschreibung – kann es manchmal eine Weile dauern, bis die wahre Bedeutung ans Tageslicht tritt.

Dr. Brown hält nichts von künstlichen Hindernissen. Im Fokus seines ERC-Projekts über Perioden in algebraischer Geometrie und Physik (Periods in Algebraic Geometry and Physics) steht vielmehr das Aufgreifen abstrakter mathematischer Vorstellungen und deren Übertragung auf die Teilchenphysik. Dieser Teilbereich der Physik hat dank der Entdeckung des Higgs-Boson (dieses Teilchen trug zur Bestätigung des Standardmodells über die Funktionsweise des Universums bei) im Jahr 2012 ein hohes Maß an Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregt.

"Der Beschleuniger funktioniert so, dass Teilchen aufeinander treffen und die Partikel beobachtet werden ", erklärt Dr. Brown. "Hierfür ist ein enormer praktischer Aufwand notwendig, aber ohne Theorie geht es nicht. Es muss unter Anwendung der bekannten physikalischen Gesetze genau vorherbestimmt werden, was den Erwartungen entsprechend beobachtet wird und daraufhin müssen Experimente durchgeführt werden, um Abweichungen festzustellen."

Die für diese Kalkulationen erforderliche Mathematik ist äußerst komplex – und hier kommt Dr. Brown ins Spiel. Durch Zufall wurden die erforderlichen Zahlen vor etwa 300 Jahren durch den Schweizer Mathermatiker und Physiker Leonhard Euler entdeckt. Die Zahlen fanden jedoch mehr für ihre ästhetische Wirkung, als für ihre Nützlichkeit Beachtung. "Wie sich jedoch herausgestellt hat, benötigen wir genau diese Zahlen, um unsere Theorie zu beschreiben", meint Dr. Brown. Basierend auf diesen Zahlen, die als Zeta-Werte bezeichnet werden, hat Dr. Brown eine vollständige Theorie entwickelt, die es ermöglicht, theoretische Vorhersagen noch schneller und effektiver zu treffen.

"Die Tatsache, dass es ungewöhnlich ist, das Theoretische und das Praktische in einem Projekt zu vereinen, macht das Projekt über Perioden in algebraischer Geometrie und Physik so interessant", erklärt Dr. Brown. "Das Projekt spiegelt ebenfalls eine Veränderung der Mathematik im Verhältnis zu anderen Wissenschaften wider."

Mathematik im Wandel

Dr. Brown, der von der ERC mit etwas mehr als einer Million Euro unterstützt wird, trägt in der Tat dazu bei, die nach wie vor mehr oder weniger existenten Gräben zwischen Mathematikern und Physikern zu schließen. "Das geht bis auf die Zeit von Newton zurück, als oftmals keine Unterscheidung zwischen beiden Disziplinen getroffen wurde", erläutert Dr. Brown. Die derzeitige Befruchtung zwischen Mathematik und Physik kann in der Verwendung des Begriffs ‚Quantum‘ beobachtet werden. Dieser Begriff, der ursprünglich aus dem Bereich der subatomaren Physik stammt, wird nun ebenfalls in verschiedenen Teilbereichen der Mathematik angewandt.

Wie Dr. Brown feststellt, gäbe es in Europa seit Neuestem einen beeindruckenden Zuwachs an Mathematikern. Das Klischee vom einsamen Mathematiker, der in einem leeren Raum Gleichungen an eine Tafel schreibt, ist nicht mehr aufrechtzuerhalten. Auf diesem Gebiet schießen neue Vorstellungen wie Pilze aus dem Boden.

Mathematik kann auch persönliche Horizonte erweitern. Dr. Browns Karriere führte ihn aus dem Vereinigten Königreich, dem Ort, an dem er aufwuchs und an dem er seinen ersten Abschluss machte, in die École Normale Supérieure (ENS) in Paris, an der er promovierte. "Meine Mutter ist Französin und ich hatte schon immer nach Frankreich gehen wollen", gibt Dr. Brown zu verstehen. "Durch einen glücklichen Zufall war Paris der geeignetste Ort, um das zu studieren, was mich interessierte." Dr. Brown führt sein ursprüngliches Interesse auf einen Mangel an tauglichen Computern in seiner Schule zurück, was ihn dazu brachte, mit 11 Jahren das Programmieren zu lernen, anstatt zu spielen.

Während im Laufe der Zeit neue Vorstellungen, Modeerscheinungen und Trends entstehen, hat die Mathematik etwas Zeitloses an sich. Ohne ein gewisses Grundverständnis können Forscher keine quantitativen Ergebnisse erzielen. Dies führt uns zurück zu Dr. Browns Meinung, dass eine Aufspaltung der Mathematik in das rein Abstrakte und das rein Praktische zwecklos sei. Mithilfe dieses ERC-Projekts war er in der Lage aufzuzeigen, dass selbst die merkwürdigsten Theoriemodelle aus vergangenen Jahrhunderten Wissenschaftlern von heute dabei helfen können, Antworten auf die drängendsten Fragen über den Ursprung des Universums zu finden.

Projektdetails

Forschungsbereich: Mathematik
Forschungsleiter: Dr. Francis Brown
Gasteinrichtung: Institut des Hautes Etudes Scientifiques (IHÉS), France
ERC-Projekt: Periods in Algebraic Geometry and Physics (PAGAP)
ERC-Aufforderung zur Einreichung von Vorschlägen: Starting grant 2010
ERC-Finanzierung: 1 Million EUR für fünf Jahre

Links:

Webseite des Forschers
Dr. Francis Brown: Video über Aspekte der geometrischen Algebra

veröffentlicht: 2015-01-22
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