Aufdeckung von Regierungskriminalität und Missbrauch von Menschenrechten durch Architektur

Ein interdisziplinäres Forschungsteam nutzt moderne Technologie, um neue Nachweise für Kriegsverbrechen und Verletzungen der Menschenrechte zu liefern.

Die Zahl der zivilen Konfliktopfer in Stadtgebieten nimmt zu. Der Grund dafür ist, dass das traditionelle Konzept eines Kriegsschauplatzes keine Gültigkeit mehr hat. Heutzutage finden die meisten Konflikte innerhalb von Städten statt – auf städtischen Schlachtfeldern, daten- und medienreiche Umgebungen. Mit einer Teilfinanzierung der EU für das FAMEC-Projekt will die unabhängige Agentur Forensic Architecture (FA) das Potenzial des heutigen technologischen Fortschritts nutzen, um Regierungskriminalität und den Missbrauch von Menschenrechten, die bzw. der in Städten und Gebäuden begangen wird, zu untersuchen.

In der Vergangenheit basierten Nachweise für Kriegsverbrechen und Verletzungen von Menschenrechten auf Interviews, die lange nach den Ereignissen geführt wurden. Doch die moderne Technologie hat dies verändert. Dank der weitverbreiteten Nutzung digitaler Aufnahmegeräte, Satellitenkommunikation, Fernerkundungstechnologie und des Internets stehen nun umfassende Datenmengen zur Verfügung, um neuartige Beweise zu liefern, wenn Verbrechen begangen werden.

In einem Interview mit „Architectural Record“ erklärt FA-Gründer und -Geschäftsführer Eyal Weizman, welche Rolle die Architektur bei der Arbeit der Agentur spielt. „[A]rchitektur ist ein Ort, von dem aus wir losgehen; sie ist eher wie ein Flughafen als wie ein Gefängnis. Wenn es darum geht, architektonische Nachweise für, sagen wir, ein zerstörtes Gebäude in Syrien zu liefern, sind wir oft nicht in der Lage, direkt vor Ort zu sein. Wir müssen von Nutzern generierte Inhalte lokalisieren, prüfen, analysieren und zusammenfügen, um daraus einen Bericht zu machen.“

FA nutzt die Bilder, die Menschen am Ort eines Konflikts hochladen, um das zu untersuchende Verbrechen nachzubilden. Um das zu erreichen, verwendet das Unternehmen Modelle, Zeichnungen, Karten, webbasierte interaktive Kartografien, Filme und Animationen, die das weit gefasste Fachwissen dieses Teams erfordern. FA hat ein neues Tool entwickelt, mit dem es möglich ist, komplexe Ereignisse wie Konflikte, Proteste oder Krisen in ihrer Entstehung mithilfe von Fotografie und Satellitenbildgebung abzubilden. Diese Open-source-Plattform namens PATTRN ermöglicht es ihren Nutzern, Berichte von Konflikten aus erster Hand zu teilen und zusammenzutragen und diffusen Informationen Sinn zu verleihen.

Die Forscher befassen sich mit gewalttätigen Ereignissen in der ganzen Welt, um neue Beweise für internationale Strafverfolgungsteams, politische Organisationen, Nichtregierungsorganisationen und internationale Institutionen wie die Vereinten Nationen zu liefern. Die Projekte des FA-Teams umfassen die Untersuchung von Folterzentren in Kamerun, die Gegenrecherche der Aussage eines Geheimagenten bezüglich des Mordes an einem jungen Türken in Deutschland und die Nachbildung eines geheimen syrischen Untersuchungsgefängnisses auf der Grundlage von Beschreibungen von Überlebenden. Eine weitere Untersuchung betrifft den Mord an sechs Menschen und das Verschwinden von 43 Studenten in Mexiko beim Angriff der örtlichen Polizei auf eine Schule.

Die Untersuchungen von FA umfassen Ereignisse in Kriegsgebieten bis hin zu politisch motivierten und rassistischen Gewalttaten, die außerhalb von militärischen Konflikten geschehen. Die Arbeit der Agentur macht es möglich, von staatlichen Behörden vorgelegte Berichte von Ereignissen infrage zu stellen. Das hat zu offiziellen Nachforschungen und Gerichtsverhandlungen geführt.

„Wir glauben, dass es äußerst wichtig ist, neue Wege zur Herstellung stichhaltiger Beweise zu finden, auf denen unsere Diskussionen und unsere politischen Entscheidungen basieren“, so Weizmann. „Wir planen, Architektur weiterhin als einen abseitigen Ort zu nutzen, um politische Situationen in der ganzen Welt zu verstehen, zu analysieren und dann einzugreifen.“

FAMEC (Forensic Architecture: The Media Environments of Conflict) entwickelt das Feld der forensischen Architektur weiter, indem es neue Formen der Dokumentation und Analyse nutzt und darauf schaut, wie diese das Verhältnis zwischen Konflikt und gebautem Raum verändert haben. FA wird in Zusammenarbeit mit führenden Menschenrechtsorganisationen weitere Arbeiten in Syrien, Israel, Palästina und Brasilien durchführen.

Weitere Informationen:
Website von Forensic Architecture

Datum der letzten Änderung: 2018-05-18 17:15:02
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