Tiere – egal wie einfach oder komplex sie sind – weisen eine erstaunliche Lernfähigkeit auf. Selbst mit eingeschränktem Denkvermögen kann ein Organismus sich für das Richtige entscheiden, wenn er auf externe Reize reagiert; eine Tatsache, die von der computergestützten Lerntheorie derzeit noch nicht erklärt werden kann.
Von Maden lernen
In dem von der EU geförderten und im Jahr 2014 gestarteten MINIMAL-Projekt konzentrierte man sich auf die Lernprozesse eines verhältnismäßig einfachen Tieres, der Larve von Fruchtfliegen (Made). Obwohl dieses Lebewesen über weniger als 10 000 Neuronen verfügt, ist es in der Lage, gewisse Signale, die es zu Gutem hin- und von Schlechtem wegführt, schnell und flexibel zu erlernen.
„Wenn wir die speziellen Mechanismen hinter diesem Lernprozess verstehen, könnte dies für technische Anwendung von großer Bedeutung sein, etwa bei der Entwicklung von selbstlernenden kleinen Robotergeräten“, erklärt die Projektkoordinatorin von MINIMAL, Professor Barbara Webb von der School of Informatics an der Universität Edinburgh in Großbritannien.
„Dies könnte zum Beispiel bedeuten, dass wir in der Lage wären, kleine kostengünstige Roboter für den Einsatz in der Präzisionslandwirtschaft zu entwickeln, die lernen können, welche Pflanzen Dünger oder Bewässerung benötigen. Anschließend kann immer zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort gedüngt oder bewässert werden. Unsere zentrale Idee ist, dass kleine, aber aktive Systeme, ähnlich wie Tiere, örtlich zwischen den gültigen Signalen, die für die aktuelle Aufgabe notwendig sind, unterscheiden und sich diese merken können.“
Die einfache Made wurde von Webb und ihrem Team deshalb ausgewählt, weil sie sowohl das Verhalten des Tieres als auch dessen Vorgänge im Gehirn in erstaunlichem Detail genau verfolgen und steuern können. Sie konnten den kompletten Vorgang nachverfolgen, mit dem die Maden neue Gerüche erlernen, die sie zu guten Nährstoffen (etwa Zucker) hin- und von schlechter Nahrung (wie Chinin) wegführen.
„Wir entdeckten, dass einzelne spezielle Gehirnzellen, wenn sie aktiviert sind, ausreichen, um der Made beizubringen, dass ein bestimmter Geruch positiv ist“, erklärt Webb. „Wir planen, dies weiter mit einer im MINIMAL-Projekt entwickelten Methode zu erforschen. Die Aktivität bestimmter Hirnzellen wird durch Aufleuchten angezeigt. Dies können wir nachverfolgen, selbst wenn sich die Larve frei umher bewegt. Wir haben wirklich nicht erwartet, dass diese letzte Methode funktioniert. Für uns ist das bislang einer der zufriedenstellendsten Aspekte dieses Projekts.“
Informationsmöglichkeiten
Von der Arbeit des Projektteams über die Lernvorgänge der Maden könnten auch andere Bereiche profitieren. „Obwohl es unser Hauptziel war, solche Fähigkeiten bei echten Robotersystemen aufzuzeigen, gibt es im Informationsumfeld ähnliche Anwendungsmöglichkeiten“, erläutert Webb.
Beispielsweise gibt es derzeit in der Informatik den Trend, oftmals auf Big Data zurückzugreifen. Allerdings fällt auf, dass in der Natur Tiere oft mit einer geringen Datenmenge lernen, um Verbindungen vorherzusagen (so wie die Fähigkeit der Made, gute Nahrung zu finden). Die Funktionsweise dahinter zu verstehen, könnte Auswirkungen auf die Entwicklung von Software und Computerschnittstellen haben, die die nächste Aktion eines Anwenders vorausahnen.
Wirft man einen noch weiteren Blick in die Zukunft, so könnte es eines Tages sogar möglich sein, dass Larven selbst zu technisierten Rechengeräten werden, die in der Lage sind, kritische Signalverarbeitungsaufgaben durchzuführen.
„Als Nächstes müssen wir unsere Ergebnisse in ein Modell für neurale Lernmechanismen der Larve zusammentragen und sie an einem Roboter erproben“, so Webb. „Wir entwickelten auch eine weiche Robotermade, aber es war schwierig, ihre Bewegungen zu steuern. Biobasiertes Lernen könnte die Antwort sein, und wir glauben fest daran, dass solche Roboter das Potential für viele Anwendungsmöglichkeiten haben.“
Das MINIMAL-Projekt soll Ende Dezember 2016 abgeschlossen werden.
Weitere Informationen:
MINIMAL-Projektwebsite