Graphen: das Wundermaterial für Elektronik, Computer und vieles mehr

Seit den ersten richtungsweisenden Experimenten vor weniger als 10 Jahren stoßen Graphene in der wissenschaftlichen Welt auf starkes Interesse, da es so aussieht, als könnten sie für unsere Gesellschaft so wichtig werden wie Stahl und Kunststoff. Sie werden mehrere Industriezweige revolutionieren und werden voraussichtlich wichtige wirtschaftliche Auswirkungen haben. Das Vorzeigeprojekt GRAPHENE dafür sorgen, dass Europa die wissenschaftliche und technologische Führungsrolle bei der Anwendung von Graphen einnimmt.

Die Halbleiterindustrie bildet die Grundlage für die heutige Hightech-Wirtschaft und schafft in Europa mehr als 100.000 direkte Arbeitsplätze und sogar noch mehr indirekte. Erreicht werden konnte dies durch die kontinuierliche Miniaturisierung bei der auf Silizium basierenden CMOS-Technologie (Complementary metal-oxide-semiconductor, CMOS). Aber dieses Modell wird nur 10 bis 15 Jahre überdauern.

Die größte Herausforderung für die IKT-Industrie besteht darin, Alternativen für die Informationsverarbeitung und -speicherung zu finden, die über die Beschränkungen der existierenden CMOS hinausgehen. Es gibt gute Anzeichen dafür, dass Graphene ein hervorragender Kandidat für Komponenten sind, die über CMOS hinausgehen und trotz seiner revolutionären Art herkömmliche CMOS-Technologien ersetzen wird.

Graphen stößt seit den ersten richtungsweisenden Experimenten vor 10 Jahren in der wissenschaftlichen Welt auf starkes Interesse, was durch den Nobelpreis in Physik 2010 belegt wird, der an Prof. Andre Geim und Prof. Kostya Novoselov von der Universität Manchester verliehen wurde. Die beeindruckenden elektrischen Eigenschaften von Graphen könnten zur Bewältigung der physikalischen Einschränkungen beitragen, die Silizium mit sich bringt, da Transistoren immer kleiner werden - dadurch bieten sie Lösungen für das Zeitalter nach CMOS, die benötigt werden, um die Herausforderungen durch den globalen Wettbewerb zu überwinden.

Das Vorzeigeprojekt GRAPHENE (1) wurde im Oktober 2013 gestartet. Es vereint mehrere Disziplinen, befasst sich mit der Erforschung einer ganzen Reihe von Themen, angefangen bei dem grundlegenden Verständnis von Materialeigenschaften bis hin zu Graphenproduktion. Die vorgeschlagenen Forschungsarbeiten umfassen Elektronik, Spintronik, Photonik, Plasmonik und Mechanik - alles auf der Grundlage von Graphen.

Unter der Leitung von Jari Kinaret von der schwedischen Chalmers-Universität beteiligen sich mehr als 126 Forschergruppen aus 17 europäischen Ländern mit 136 Hauptforschern, darunter vier Nobelpreisträgern. Mit einem anfänglichen Budget für 30 Monate in Höhe von 54 Mio. EUR wird das GRAPHENE-Konsortium durch einen Aufruf zur Einreichung von Projektvorschlägen im November für einen Wert von insgesamt 9 Mio. EUR 20 bis 30 weitere Gruppen umfassen.

"Die Graphenproduktion ist offensichtlich ein zentrales Thema unseres Projekts" sagte Prof. Kinaret beim Projektstart, wobei jedoch auch wichtige Anwendungen untersucht werden, zu denen schnelle elektronische und optische Geräte, flexible Elektronik, leichte funktionelle Bauteile und fortschrittliche Batterien gehören. Neue Produkte, die durch Graphen-Technologien ermöglicht werden, sind beispielsweise schnelle, flexible und haltbare Unterhaltungselektronik, wie elektronisches Papier und biegsame persönliche Kommunikationsgeräte, sowie leichtere und energieeffizientere Flugzeuge. Es wird davon ausgegangen, dass Graphen längerfristig neue rechnergestützte Paradigmen und richtungsweisende medizinische Anwendungen, z. B. künstliche Netzhaut, ermöglichen werden.

Volle Kraft voraus: Graphen als FET-Vorzeigeinitiative

Die von EU-Kommissarin Kroes als "gewagtes Unternehmen" beschriebenen FET-Vorzeigeinitiativen (Future and emerging technologies, FET) sind visionäre, groß angelegte, wissenschaftsorientierte Forschungsinitiativen, die sich mit wissenschaftlichen und technologischen Herausforderungen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen befassen. Diese neuen Instrumente der EU-Forschungsförderung unterstützten koordinierte Bemühungen zwischen den Programmen der EU und den nationalen und regionalen Programmen ihrer Mitgliedstaaten, sind überaus ehrgeizig und basieren auf der Zusammenarbeit einer Reihe von Disziplinen, Gemeinschaften und Programmen, wozu eine Unterstützung über einen Zeitraum von bis zu 10 Jahren notwendig ist. Nach der Startphase, die im Rahmen des aktuellen Siebten Rahmenprogramms der EU bis März 2016 dauert, wird die Arbeit unter dem nächsten Programm, d. h. Horizont 2020, mit einem geplanten Budget von 50 Mio. EUR pro Jahr für das Vorzeigeprojekt fortgesetzt.

Graphen wurde aufgrund eines Wettbewerbs zwischen sechs Pilotprojekten als Vorzeigeprojekt ausgewählt, bei denen es um die Untersuchung von Bereichen mit großem Potenzial für nachhaltige Investitionen geht. Wie Nelie Kroes sagte: "Europas Position als Supermacht des Wissens hängt davon ab, wie es uns gelingt, das Undenkbare zu denken und die besten Ideen zu verwirklichen. Dieser Milliardenwettbewerb belohnt europäische Durchbrüche in der Wissenschaft und zeigt, dass wir - wenn wir ehrgeizig sind - in Europa Spitzenforschung betreiben können."

Das Pilot-Vorzeigeprojekt für Graphen GRAPHENE-CA (2) untersuchte, wie Entwicklungen bei diesem kohlenstoffbasierten Material die IKT und Industrie revolutionieren könnten. Im Rahmen des Pilotprojekts wurde eine umfassende wissenschaftliche und technologische Roadmap aufgestellt, die als Grundlage für die Forschungsagenda des GRAPHENEN-Vorzeigeprojekts dienen soll - von Elektronik, Spintronik, Photonik, Plasmonik bis hin zur Mechanik und die Unterstützung von Bereichen wie Graphenproduktion und -chemie. Anhand dieser Grundlage wurde es dann ausgewählt.

Jetzt ist das Vorzeigeprojekt auf den Weg gebracht und verfügt bereits über ein Forscherteam von beeindruckendem Umfang . Teilnehmer sind die Univerisäten in Louvain (Belgien), Aalto (Finnland), Lille und Straßburg (Frankreich), Bremen, Chemnitz, Dresden und Hamburg (Deutschland), Ioannina (Griechenland), Dublin (Irland), Triest (Italien), Minho (Portugal), Barcelona und Castilla-La Mancha (Spanien), Basel, Genf und Zürich (Schweiz), Delft und Groningen (Niederlande) sowie Cambridge, Manchester und Oxford (Vereinigtes Königreich). Diese werden von Fachhochschulen und technischen Universitäten in Österreich, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Italien, Polen, Spanien, Schweden und der Schweiz ergänzt. Außerdem gibt es industrielle Partner, wie z. B. Nokia, Thales, Alcatel Lucent, Philips Technology, Airbus und ST Microelectronics. Und diese Liste umfasst nur einen Teil der teilnehmenden Organisationen.

Ihre Aufgabe besteht darin, Graphen und die damit verbundenen Schichtwerkstoffe weiterzuentwickeln, sodass sie aus den Laboratorien hausgelangen und in der Gesellschaft eingesetzt werden können - wodurch mehrere Industriezweige revolutioniert und wirtschaftliches Wachstum und Arbeitsplätze in Europa geschaffen werden könnten.

"Die Kommission und alle akademischen und industriellen Partner des GRAPHENE-Vorzeigeprojekts sind daran beteiligt. Es ist ein ungewöhnlich langes Engagement, das ganz klar auch mit Herausforderungen verbunden sein wird", sagt Carl-Christian Buhr, Kabinettsmitglied von Nelie Kroes. "Wir müssen die Industrie einbeziehen, sodass Ideen aufgegriffen und zu neuen Produkten und Märkten führen. Das ist die Idee, die hinter dem Vorzeigeprojekt steckt."

Daher gehören auch eine umfassende Reihe ergänzender Aktivitäten dazu, wie z. B.:

- Ein Projekt in Form eines ERA-NET, FLAG-ERA (3), um das Vorzeigeprojekt bei der Koordinierung nationaler Forschungsinitiativen zu Graphen zu unterstützen
- Eine Reihe von Initiativen, die sich auf die Verbreitung von Informationen über Graphen in der ganzen Welt konzentrieren. Die Graphen-Woche (Graphene Week) ist beispielsweise ein jährlich stattfindendes Forum, bei dem Hunderte von Forschern zusammenkommen, um ihre jüngsten Entwicklungen auf verschiedenen Gebieten zu präsentieren - das nächste findet im Juni 2014 in Göteborg, Schweden, statt. Sie bietet der Graphengemeinschaft die Möglichkeit der Zusammenkunft, bei der Diskussionen über die Grundlagenwissenschaft mit interessanten neuen Anwendungen kombiniert werden.
- "Graphene Connect" ist eine Kommunikationsplattform für Universitäten und Unternehmen, die Wissenschaftler dazu anregt, über den Tellerrand zu schauen, und Industriebranchen fördert, um Endbenutzerprodukte auf der Grundlage von Graphen zu entwickeln - hierzu gehört auch eine Reihe von industriellen Workshops und Treffen für investitionswillige Privatpersonen, Unternehmer und Risikoanleger, um potenzielle Gelegenheiten für Investitionen in Graphen zu diskutieren.
- "Graphene Study" (Graphene Study) ist ein europäisches Winterseminar zu Graphen, das zum Aufbau einer neuen Generation von Graphen-Forschern sowie neuer direkter Kommunikationskanäle zwischen jungen Forschern und Akteuren aus Wissenschaft und Industrie beitragen wird. Das erste findet vom 2. bis 7. Februar 2014 in den österreichischen Alpen statt.

Frühe Ergebnisse

Ein Teil der in der Vergangenheit von der EU finanzierten Graphen-Forschungsarbeiten bringen bereits Ergebnisse. Das Projekt GRAND (4), das im Dezember 2010 endete, untersuchte, ob Graphen auch noch bei einer Integration in den Silizium-CMOS-Prozess seine Wunder wirkt.

Unter der Leitung von AMO in Deutschland machte sich das Team daran, zu bewerten, ob Graphen wirklich die herkömmliche Halbleitertechnologie in das Zeitalter nach CMOS hinüberretten kann. Das GRAND-Konsortium entwickelte Wege für die Herstellung zweidimensionaler Graphen-Nanostrukturen (mit einer Breite von nur 5 nm) für die Anwendung in elektronischen Bauteilen. Es war wichtig zu zeigen, dass derartige Bauteile nicht nur funktionieren, sondern ihre Herstellung auch auf industriellen Maßstab übertragen werden kann.

Folglich entwickelte das Team einen neuen Transistortyp -dessen Konzept in der renommierten Fachzeitschrift "Applied Physics Letters" veröffentlicht wurde - der neue Möglichkeiten für graphenbasierte ultraschnelle elektronische und optoelektronische Geräte eröffnen könnte.

Als Teil des GRAND-Projekts wurde Graphen auch in ein nichtflüchtiges Speichergerät integriert, das sich auf molekulare Größe reduzieren lässt - ein Graphenspeicher mit einer Größe von nur 1x1 nm, ist in der Lage die Informationen zu speichern, selbst wenn die Stromversorgung ausgeschaltet ist. Das Team produzierte mehr als 10 dieser Geräte - wodurch seine Skalierbarkeit gezeigt wurde.

Unter der Leitung der Chalmers University of Technology, Schweden, begann das Projekt CONCEPTGRAPHENE (5) das Potenzial freizusetzen, wenn eine dünne Schicht Graphen auf eine Siliziumkarbid-Grundlage aufgebracht wird – mit dem Ziel skalierbarer Elektronik mit potenziellen Anwendungen in Spintronik und ultragenauen Messgeräten. Das Team arbeitete an der Fertigung groß angelegter Graphen-Wafer, mit denen elektronische Geräte mit hoher Dichte auf einem einzelnen Silizium-Wafer hergestellt werden können. Diese Art der Technologie wird für die Herstellung graphenbasierter Bauteile und Geräte im Industriemaßstab benötigt, die mit aktuellen industriellen Verfahren kompatibel ist.

Das im September 2013 abgeschlossene Projekt startete ein Start-up-Unternehmen, das Graphen-Wafer produzieren wird. Die Graphensic AB hat ihren Sitz in Linköping, Schweden. Das Unternehmen ist ein Spin-Off der Universität Linköping und produziert hochwertiges, stark einheitliches Graphen auf Siliziumkarbidbasis (SiC), wobei ein patentierter Hochtemperatur-Graphen-Prozess genutzt wird – eine Wachstumsmethode, mit der eine dünne Schicht Graphen, selbst eine einzelne Schicht Atome, auf Siliziumkarbid produziert werden kann.

Mehr zu den Ursprüngen

Aber Graphen ist nicht das einzige innovative Material, das die Elektronik verändern könnte – das Projekt 2D-NANOLATTICES (6), das im Mai 2014 abgeschlossen wird, arbeitet an anderen graphitartigen Molekülgitter-Strukturen, die auf verschiedenen Elementen basieren. Diese "Nanogitter" könnten den Weg für noch kleinere und leistungsstärkere nano-elektrische Geräte ebenen. Insbesondere könnte "Silizen" (oder Germanen), das Silizium- oder Germanium-Äquivalent von Graphen, wenn es sie gibt, eine bessere Kompatibilität mit der Siliziumverarbeitung bieten.

Unter der Leitung des nationalen Zentrums für wissenschaftliche Forschung "Demokritos" in Griechenland bestand das Ziel des Projektteams darin, Wege zu finden, um Silizium und Germanium zu induzieren und zu stabilisieren und zum ersten Mal zu beweisen, dass das Silizium eine physische Existenz besitzt. Durch die Produktion abwechselnder Schichten, die untereinander schwach gebunden sind, wobei jede aus einer einzelnen Schicht von Atomen besteht, könnte dieses neue Material als Element für Steuertore und andere Komponenten in neuen miniaturisierten 2D-Halbleitern dienen.

Wir befinden uns vielleicht noch in der Anfangsphase, aber das scheinen die ersten Schritte bei der Veränderung der Herstellung elektronischer Geräte - und ihrer Funktionen - zu sein, die das Potenzial besitzen die europäische Hightech-Industrie und Wirtschaft zu transformieren.

Die Projekte in diesem Artikel wurden alle durch das Siebte Rahmenprogramm (RP7) für Forschung der Europäischen Union unterstützt.

(1) "Graphene-based revolutions in ICT and beyond"
(2) "Graphene-based nanoelectronic devices"
(3) "A flagship-supporting ERA-NET"
(4) "New electronics concept: wafer-scale epitaxial graphene"
(5) "Coordination Action for graphene-driven revolutions in ICT and beyond"
(6) "Strongly anisotropic Graphite-like semiconductor/dielectric 2D nanolattices".

Links zum Projekt auf CORDIS:

- RP7 auf CORDIS
- Datenblatt des Vorzeigeprojekts GRAPHENE auf CORDIS
- Datenblatt des Projekts GRAPHENE-CA auf CORDIS
- Datenblatt des Projekts GRAND auf CORDIS
- Datenblatt des Projekts CONCEPTGRAPHENE auf CORDIS
- Datenblatt des Projekts 2D-NANOLATTICES auf CORDIS

Links zur Websites der Projekte:

- Website des Projekts "Graphene-based revolutions in ICT and beyond"
- Website des Projekts "Coordination Action for graphene-driven revolutions in ICT and beyond"
- Website des Projekts "Graphene-based nanoelectronic devices"
- Website des Projekts "New electronics concept: wafer-scale epitaxial graphene"
- Website des Projekts "Strongly anisotropic Graphite-like semiconductor/dielectric 2D nanolattices"

Links zu ähnlichen Nachrichten und Artikeln:

- "Feature Stories – Wir präsentieren: Pioniere zukünftiger und neu entstehender Technologien"
- Pressemitteilung der Europäischen Kommission: "Graphene" und "Human Brain Project" gewinnen bislang größten Wettbewerb um Spitzenforschungsgelder
- Pressemitteilung zum Start des Vorzeigeprojekts GRAPHENE

Weitere Links:

- Website der Europäischen Kommission zur Digitalen Agenda

veröffentlicht: 2015-01-21
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