"Konzertsäle wurden untersucht, seit vor mehr als 100 Jahren die
berühmtesten gebaut wurden", sagt er, "aber es ist immer noch ein
Rätsel, warum manche besser sind als andere. Und wenn ein neuer
Konzertsaal gebaut wird, weiß man vorher immer noch nicht, wie er später
klingen wird." Was ist für einen guten Konzertsaal ausschlaggebend?
Diese Frage versucht Prof. Lokki zu beantworten. Seine
Forschungsarbeiten könnten sogar die Entwicklung einer neuen Form von
Multimedia-Augmented-Reality sowie bessere Designs für Hörsäle
ermöglichen. "Wir benötigen mehr fundierte Erkenntnisse, die mit Hilfe
von Modellierung, Psychologie, Messungen, Musik-Ästhetik und Akustik
ermittelt werden können", erklärt er, "um das Verhalten der
Schallwellen, die von 100 Musikern in einer komplexen physikalischen
Umgebung erzeugt werden, und die Auswirkungen für verschiedene Zuschauer
an unterschiedlichen Plätzen zu messen und zu simulieren." "Test, Test,
1 - 2 - 3 ..."
Aber akustische Vorlieben – und auch die Klangqualität – sind sehr
subjektiv, wie können wir daher solche Dinge wissenschaftlich messen?
"Wir brauchten subjektive und objektive Maßnahmen", sagt Prof. Lokki.
Also beschloss er, einige Ideen aus anderen Bereichen, die subjektive
Meinungen quantifizieren müssen, zu entleihen – und zwar aus der
Lebensmittel- und Weinbranche. "Wir baten die Zuhörer, ihre eigenen
Ausdrücke zu definieren, um die Klangqualität der Aufnahmen aus
verschiedenen Konzertsälen zu beschreiben – "Bässe", "Klarheit" usw. –
und sie zu bewerten. Daraus ergeben sich sensorische Profile und
Präferenzordnungen für jeden Saal." Aber sein Team musste auch eine
Norm bereitstellen, mit der sich diese subjektiven Meinungen messen
lassen – wie lässt sich dabei sicherstellen, dass jeder seine
Rückmeldung auf genau die gleichen Klangqualitäten bezieht? Hier kommt
das "leere Orchester" ins Spiel. "Wir haben einen
'Symphonie-Orchester-Simulator' mit 34 Lautsprechern gebaut", erklärt
Prof. Lokki. Jeder Lautsprecher wird auf jeder Konzertbühne an der
gleichen Stelle platziert und spielt eine Studio-Aufnahme eines
einzelnen Musikers und Instruments ab. "Sie spielen immer das gleiche
Stück mit denselben Musikern und dann zeichnen wir den Gesamtklang an
identischen Sitzplätzen in jedem Saal auf – daher ist die einzige
Variable die Architektur." Dann luden die Forscher für jede Studie 20
Zuhörer ein und spielten das Stück ab, wobei sie zwischen den Aufnahmen
umschalteten und so von Sitz zu Sitz und von Halle zu Halle sprangen.
"So können wir die Hallen wirklich vergleichen", fährt er fort. Das Team
hat bisher vor allem Profile finnischer Konzertsäle erstellt – und mit
Hörsälen in ganz Europa begonnen. Und jetzt arbeiten sie an
mathematischen Modellen, um dieses qualitative Forschung zu ergänzen.
Von der Simulation von Orchestern zur Simulation der Akustik
Diese multidisziplinäre Forschung braucht für gute Ergebnisse ein
großes Team. Dank der Finanzmittel des ERC für das Projekt
"Physically-based Virtual Acoustics" (PHDVIRTA) konnte Prof. Lokki
Experten aus verschiedenen Bereichen gewinnen: zuerst vier Doktoranden,
zu denen jetzt auch noch drei Postdoktoranden kommen. "Der Klang ist
nicht wie das Licht — er existiert bei Wellenlängen zwischen 17 m und
1,7 cm – daher spielen Echoverzögerungen, Brechungen an Ecken und
Wandschwingungen eine Rolle – sodass es bis zu einer vollständigen
Computersimulation jedes Saals immer noch ein langer Weg ist", erklärt
Prof. Lokki. "Aber dank unseren Messungen können wir die spezifischen
Effekte, die beispielsweise Bässe reduzieren, reproduzieren und unsere
3D-Simulationen zeigen, dass, z. B. Treppenhäuser an bestimmten Stellen
als Filter wirken und die Sprachverständlichkeit beeinflussen." Die
Forscher können Visualisierungen von Schallenergie produzieren –
Reflexionen und ihre Richtungen nachverfolgen sowie die relevanten
Oberflächen identifizieren – und diese in Plänen und Zeichnungen
überlagern. Dadurch könnten sich wertvolle Ratschläge für den Bau neuer
Konzertsäle, Hörsäle und sogar Bibliotheken oder Einkaufszentren
ableiten lassen. "Hinsichtlich einer anderen Anwendung arbeiten wir an
Augmented Reality für den Klang mit dem Nokia Research Center zusammen",
fährt er fort. "Für visuelle AR werden Smartphones oder die
Google-Brille benötigt, aber wir können mit einem Mikrofon Kopfhörer
"transparent" machen – das Gegenteil von Geräuschunterdrückung – und
dies auf, sagen wir, ein Drei-Wege-Telefongespräch anwenden, das
ausblendet wird, wenn man sich den Personen nähert mit denen man
spricht. Oder man kann damit die akustische Umgebung verbessern.
"Darüber hinaus haben wir Hunderte von Downloads unserer Musik-Dateien
aus dem Orchester-Simulator und diese werden nun verwendet, um auf
unsere Forschung auf der ganzen Welt aufzubauen", schließt er.
- Quelle: Prof. Tapio Lokki
- Projektkoordinator: Abteilung für Medientechnik, Aalto University School of Science, (Finnland)
- Projekttitel: Physically-based virtual acoustics
- Projekakronym: PHDVIRTA
-
Website des PHDVIRTA-Projekts- RP7-Finanzierungsprogramm (ERC-Aufforderung): Starting Grant 2007
- Finanzierung durch die EK: 880 000 EUR
- Projektlaufzeit: 5 Jahre 11 Monate
- Ausgewählte Veröffentlichungen:
-
"Concert hall acoustics assessment with individually elicited
attributes", J. Acoust. Soc. Am., Volume 130, Issue 2, (2011); Tapio
Lokki, Jukka Pätynen, Antti Kuusinen, Heikki Vertanen & Sakari
Tervo; pp. 835-849
- "Disentangling preference ratings of concert
hall acoustics using subjective sensory profiles," Journal of the
Acoustical Society of America, Volume 132, Issue 5, (2012); Tapio Lokki,
Jukka Pätynen, Antti Kuusinen & Sakari Tervo; pp. 3148-3161
-
"Temporal Differences in String Bowing of Symphony Orchestra Players",
Journal of New Music Research, Volume 41, Issue 3, (2012); Jukka
Pätynen, Sakari Tervo & Tapio Lokki; pp. 223-237