Millionen Menschen leben mit chronischen Schmerzen. Darum forscht man im Gesundheitssektor intensiv an einer Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten. Die momentan verwendeten traditionellen Schmerzmittel wie Opiate und Lokalanästhetika haben Nebenwirkungen, wie zum Beispiel Sedierung oder Schädigung des Herzmuskels. Wenn zur Behandlung einer dauerhaft schmerzhaften Region außerdem noch wiederholte Injektionen hinzukommen, ist das für den Patienten zusätzlich unangenehm, erhöht das Infektionsrisiko und möglicherweise auch die Kosten.
Aufbauend auf neuesten Erkenntnissen der Nanotechnologie wollte ein Forscherteam unter Dmitri Rusakov vom University College London herausfinden, ob es möglich ist, ein alternatives System zur Schmerzlinderung zu entwickeln, das die Medizin direkt an einen Wirkort transportiert und dort über einen längeren Zeitraum ausschüttet. Ihre Ergebnisse wurden in der Datenbank
„Europe PMC“ veröffentlicht.
Teile der Forschung wurden über zwei EU-Zuschüsse für die Projekte NETSIGNAL und NEUROCLOUD gefördert. Die Wissenschaftler nutzten die
Layer-by-Layer-Technologie, um einen Wirkstoff zur Nervenblockade in winzige mehrschichtige Kapseln zu verpacken, die mit bloßem Auge nicht sichtbar sind.
Mehrschicht-Mikrokapseln und die Nervenblockade von QX-314
Tierversuche haben gezeigt, dass ein Wirkstoff namens Natriumkanalblocker QX-314 Schmerzen besser und länger lindern kann als konventionelle Schmerzmittel. Er dringt durch zwei Proteine in den Nerv ein: TRPV1 und TRPA1, die in Neuronen zur Wärme- und Schmerzrezeption vorkommen. Um dessen Wirksamkeit als Nervenblockade bei anhaltenden entzündlichen Schmerzen zu bestimmen, verkapselte das Team den Stoff QX-314 in biologisch abbaubaren Mikrokapseln.
Zunächst wurden die Mikrokapseln in vitro in einzelne Nervenzellen injiziert. Schon mit 4-10 Pikogramm des nervenblockierenden Medikaments wurden die Neuronen nachweislich zunehmend weniger schmerzempfindlich.
Danach verwendeten die Forscher Gewebe aus den Hinterpfoten von Ratten, um das Verhalten des verkapselten Wirkstoffs bei der Injektion in betroffenes Gewebe zu untersuchen. Daraufhin wurden einige Eigenschaften der Mikrokapseln angepasst, damit der Wirkstoff langsam und über einen langen Zeitraum hinweg abgegeben wird.
In den folgenden in-vivo-Experimenten wurden jeder Ratte 50-100 Mikroliter komplettes Freund-Adjuvans – eine Emulsion, die Entzündungen sowie Wärme- und Schmerzempfindlichkeit hervorruft – in eine Hinterpfote injiziert. Sobald die Nagetiere Anzeichen von Schmerz und Entzündung zeigten, injizierte das Team die Mikrokapseln mit dem QX-314 in den betroffenen Bereich. Die Ergebnisse zeigten, dass eine einzelne lokale Injektion zu starker Schmerzlinderung führte, die länger als eine Woche anhielt. Zudem fingen die Mikrokapseln fünf Wochen nach der Injektion in den Körper an, sich zu zersetzen.
Mobilität und Ängstlichkeit der Ratten wurden während des Experiments ebenso überwacht. Dabei wurde beobachtet, dass sich die Tiere langsamer bewegten und sich in den Ecken ihrer Arena versteckten, wenn ihnen die entzündungsfördernde Substanz injiziert worden war. Zwei bis vier Tage nach der Behandlung mit dem verkapselten QX-314 zeigten sie jedoch höhere Geschwindigkeiten und weniger ängstliches Verhalten, indem sie sich länger in der Mitte der Arena aufhielten.
Nanotechnologische Mikrokapseln sind zwar eine vielversprechende Entwicklung in der Schmerzbehandlung, es bedarf aber noch weiterer Verbesserungen, um dauerhafte und wirksame Resultate zu erzielen. Im nächsten Schritt werden die Erkenntnisse aus den Projekten NETSIGNAL (Signal Formation in Synaptic Circuits with Astroglia) und NEUROCLOUD (A neural network builder with remotely controlled parallel computing) zur Entwicklung von Injektionsmethoden verwendet, mit denen eine präzisere ferngesteuerte Wirkstoffabgabe am Zielpunkt möglich ist. Weiterhin sollen Mikrokapseln mit Eigenschaften entwickelt werden, mit deren Hilfe Zielgewebe oder -zellen erkannt werden können, um die Schmerzlinderung noch genauer zu platzieren.
Weitere Informationen:
NETSIGNALNEUROCLOUD