Auswirkungen des Gleichgewichtssinns auf andere Körpersysteme

Das Gleichgewichtsorgan (vestibuläres System) dient Wirbeltieren dazu, ihre Körperlage im Raum wahrzunehmen und das Gleichgewicht zu halten. Es beeinflusst aber auch die Herzkreislaufregulierung, den zirkadianen (Tag-Nacht)-Rhythmus und die Knochenmineralisierung. EU-finanzierte Wissenschaftler enthüllen nun die genauen Zusammenhänge.

Menschen und viele Tierarten nehmen Beschleunigung und Richtung der Schwerkraft über das Gleichgewichtssystem wahr und richten danach ihre Körperhaltung aus. Zuständig hierfür sind die Otolithen (Ohrsteine) im Gleichgewichtssystem. Die genauen Zusammenhänge zwischen Otolithensystem und anderen Körpersystemen und Funktionen müssen aber noch erforscht werden.

Da ein einzelnes wissenschaftliches Team nicht über die notwendige fachübergreifende Expertise für Schwerkraftversuche verfügt, vereint das EU-finanzierte Projekt "Vestibular system, cognition and vegetative regulations" (SVETA) Spitzenforschergruppen aus Europa, Russland und den Vereinigten Staaten, um den Kenntnisstand zu erweitern.

Das Gleichgewichtssystem hat direkten und indirekten Einfluss auf das Herzkreislaufsystem. In einem Versuch mit kurzzeitiger mehrdeutiger Otolithenstimulation (unklare Neigung oder Verschiebung) und visueller Stimulation sollten Neigung oder Verschiebung bestimmt werden. Die visuelle Stimulation allein blieb dabei ohne Effekt. Wurde jedoch vom Gleichgewichtssystem eine Neigung wahrgenommen, bewirkte dies eine deutliche Reaktion des Herzkreislaufsystems.  Dies legt eine Wechselwirkung zwischen beiden Systemen nahe, die bislang in zwei Forschungsberichten beschrieben wurde.

Zwei Möglichkeiten, die Effekte von Schwerelosigkeit am Boden zu untersuchen, sind längeres Liegen in Kopf-Tieflage-Position (Bed-rest-Versuche) und Trockentauchen (mit elastischem, wasserdichten Gewebe unter Wasser). Russische Wissenschaftler haben die physiologischen und kognitiven Effekte des Trockentauchens inzwischen ausgewertet. In der nächsten Phase werden die Experimente einschließlich den Bed-rest-Versuchen in anderen Partnerlabors wiederholt.

In weiteren Experimenten wird derzeit untersucht, wie sich langfristige Gleichgewichtsstimulation oder Gleichgewichtsverlust auf Gedächtnis und Physiologie auswirken. Schwerpunkt vieler Experimente sind dabei Verbindungen zum Hippocampus, einer Hirnstruktur, die für die Lern- und Gedächtnisfunktion zuständig ist. Weiterhin wurden die Auswirkungen auf die Knochendichte untersucht und in drei Fachartikeln veröffentlicht.

Die fruchtbare Zusammenarbeit der Partner von SVETA wird die Effekte kurz- und langfristiger Gleichgewichtsstimulation auf das Herzkreislauf-, Skelettmuskel- und Nervensystem klären. Damit stehen wichtige Ausgangswerte für künftige Raumforschungsmissionen zur Verfügung, auch könnte die Diagnose und Behandlung systemischer Krankheiten vereinfacht werden, die auf Gleichgewichtsstörungen beruhen.

veröffentlicht: 2015-04-22
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