Das Nachspiel eines Tsunamis
Für die Untersuchung von Tsunamis erscheint ein Forschungshintergrund im Erdbebeningenieurwesen auf den ersten Blick vielleicht ungewöhnlich. Doch Professorin Tiziana Rossetto entdeckte nach ihrer Rückkehr aus Sri Lanka im Gefolge des Tsunamis von 2004, dass es nur sehr wenig Forschungen zu den Auswirkungen von Tsunamis auf Küsteninfrastrukturen gab und sie wollte mehr herauszufinden. Sie wird ihre Forschungen am 1. Dezember auf der TEDx-Veranstaltung in Brüssel der Öffentlichkeit vorstellen.
Eine ehrgeizige Übung
Prof. Rossetto schaut zurück auf die Ursprünge ihres aktuellen
Projekts, als man ihr sagte, dass Tsunamiwellen im Labor nicht simuliert
werden könnten und sie darauf antwortete "Warum denn nicht?" . Sie
fühlte sich vom Erdbebeningenieurwesen angezogen, da es sich um eine
neue Wissenschaft handelt, deren Auswirkungen sehr fassbar sein können.
Sie sagt, dass "es uns erlaubt, zu einer Revolution der Konstruktion von
Gebäuden beizutragen. Es kombiniert Technik mit Erdbebenkunde,
Strukturdynamik und sogar Sozialwissenschaften."
Ihre durch den ERC finanzierte Forschung befasst sich mit dem
Schaden, der durch die Auswirkungen von Tsunamis auf Gebäude verursacht
wird, indem die horizontalen Kräfte, die bei einem Tsunami auf Gebäude
auftreffen, modelliert werden, und untersucht wird, wie die Gebäude sich
verhalten. Zu erkennen, welcher Belastung Gebäude widerstehen können,
sollte uns lehren, wie wir diese Kräfte abmildern können. Ziel ist es,
Küstenschutzsysteme zu verbessern statt der Gebäude selber, da es
wahrscheinlicher ist, dass diese Küstenschutzsysteme in den Gebieten der
Welt gebaut und gewartet werden können, die von Tsunamis betroffen
sind. Und das sind eher Entwicklungsländer.
Die zerstörerischen Auswirkungen, die Tsunamis auf Infrastrukturen
haben können, werden anhand der sehr unterschiedlichen
Zerstörungseffekte des Tsunamis am 2. Weihnachtstag des Jahres 2004 und
dem Tsunami in Japan 2011 illustriert. Bei der Krise im Indischen Ozean
wurden ganze Gemeinden einfach von den Wellen weggeschwemmt. In Japan
führte der Tsunami zur Kernschmelze bei drei Reaktoren in Fukushima. In
einem für das Projekt besonders relevanten Ergebnis wurde erkannt, dass
die Anlage besser vor Naturkatastrophen geschützt hätte sein können.
Genau diese Form der Planung interessiert Professorin Rossetto und ihr
Team.
Tsunamimodellierung
Die Schwierigkeiten dieser Forschung sind mit der Tatsache
verbunden, dass es nur sehr wenige Beobachtungsdaten dazu gibt, wie sich
ein Tsunami entfaltet, da diese Ereignisse sehr selten sind. Das Ziel
dieser Forschung ist es, sowohl experimentell die Transformation eines
Tsunamis in Küstennähe zu untersuchen als auch die Permutationen
mathematisch zu modellieren, die physikalisch nicht einfach zu
modellieren sind. Ursprünglich wurde Prof. Rossetto gesagt, dass es
nicht möglich sei, Tsunamiwellen zu modellieren, da diese extrem lang
seien. Dies wurde zu einer Herausforderung, die mit dem Bau einer neuen
Art von pneumatischem Tsunamigenerator gelöst wurde. Dieser wird nicht
durch die Kolbenkapazität traditioneller Wellengeneratoren beschränkt
und kann die mit Tsunamis verbundenen extrem langen Wellenlängen
reproduzieren. Es ist auch die einzige Anlage weltweit, die
durchgeleitete Tsunamiwellen modellieren kann. Der Tsunamigenerator ist
an einem 70 Meter langen und 4 Meter breitem Kanal in den Labors von HR
Wallingford im Vereinigten Königreich montiert. Der Kanal ist mit vielen
Instrumenten ausgestattet und ermöglicht es den Forschern, die
Interaktionen zwischen Tsunamiwellen und Küstenschutzstrukturen,
Einzelgebäuden und Gebäudegruppen zu untersuchen: dadurch spiegelt er
akkurater wider, was bei einem echten Vorfall geschieht.
Die Katastrophe erleben
Professorin Rossettos Forschung ist experimentell und theoretisch
ausgerichtet. Sie umfasst Rekonstruktionen und Kalkulationen der
Tsunamiwelle und ihrer Nachwirkungen, und modelliert insbesondere die
Zerbrechlichkeit von Gebäuden. Die Berechnung der Versicherungsfolgen
einer Naturkatastrophe dieses Ausmaßes ist ein notwendiger Teil der
Vorbereitungen aus einer Infrastrukturperspektive, doch es gibt noch
eine andere Seite dieser Frage. In einer damit zusammenhängenden
Forschungsarbeit verfolgte Prof. Rossetto ein globales Phänomen: "Wie
gehen Menschen, die in Risikogebieten leben, mit möglichen Katastrophen
um? Sie kennen die Risiken, doch sie bereiten sich kaum darauf vor."
Die Finanzierung durch den ERC war für das Projekt von großer Hilfe,
nicht zuletzt aufgrund der Aufmerksamkeit, die es auf sich gezogen hat.
Sie betont: "Auf praktischer Ebene hat sie sichergestellt, dass ich
mich ohne Unterbrechung auf die Arbeit konzentrieren kann. Sie hat die
Türen geöffnet, da sie als ein Qualitätssiegel für die Arbeit angesehen
wird. Sie hat zu Gesprächen mit politischen Entscheidungsträgern und zur
Beteiligung an gemeinsamen Entwicklungsprojekten geführt: etwa in
Verbundforschungen und Diskussionen, um Tsunamis in die nächsten
europäischen Bauordnungen nach 2020 aufzunehmen."
Prof. Rossetto ist überzeugt, dass ihre Forschung auf der TEDx
Brüssel die "Fantasie anregen" werde. Sie beobachtet, dass die
Kombination einer echten Bedrohung mit Hightech-Lösungen einen Bericht
schaffen wird, der die Zuhörer auf der TEDx mitreißen sollte. Auf
äußerst praktische Weise ist ihr Ziel "Leben retten und damit eine
sichere Welt für unsere Kinder bauen."
Der Vortrag von Professorin Rossetto findet am 1. Dezember um 14:15 Uhr (BOZAR, Saal Henry Le Boeuf) statt.
veröffentlicht: 2015-01-27